"Den Modernisierungshebel in dieser Form anzusetzen, lässt Zweifel an der politischen Lernfähigkeit aufkommen.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Assoziationen zum Akronym „KIM“ gibt es zahlreiche, wie Herr Kollege Hamm in seinem Standpunkt in den KVS-Mitteilungen Heft 05/2021 (KIM – kommt Ihnen das „spanisch“ vor?) unterhaltsam dargestellt hatte. Höre ich „KIM“, kommen mir persönlich primär das Kombinat Industrielle Mast (für Spätgeborene: eine staatliche Betriebsform in der DDR-Landwirtschaft – vulgo: Hühnerknast) oder noch schlimmer die Diktatoren-Dynastie Nordkoreas, von Kim Il-sung über Kim Jong-il bis Kim Jong-un in den Sinn, wobei Letztgenannter und eine reichliche Futterversorgung eine gewisse Nähe aufzuweisen scheinen.

KIM ist – nach aktueller Lesart – der neue Dienst für Kommunikation Im Medizinwesen. Über solche KIM-Dienste soll alsbald die gesamte elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen laufen. Spätestens ab 1. Januar 2021 sollten ursprünglich alle Praxen den KIM-Dienst nutzen. Nutzbar sollen hierüber eAU, eRezept und eArztbrief werden. Schöne neue Welt?

„Der Start der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lief nur in wenigen Fällen rund. Viele Krankenkassen sind offenbar noch nicht in der Lage, alle Krankschreibungen ihrer Versicherten elektronisch anzunehmen. Die Ärztinnen und Ärzte berichteten, dass sie nur in einigen Fällen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) elektronisch übermitteln konnten.“

Diese KBV-Praxisnachricht vom 7. Oktober 2021 stimmt nachdenklich, denn sollte der KIM-Dienst nicht genauso reibungslos funktionieren wie ein E-Mail-Programm? Riskieren wir einen Blick in die (gute?) „alte Welt“ – in die Geschichte des uns vertrauten E-Mail-Systems:

Die ersten Schritte wurden ab 1965 in den USA gegangen. 1984 wurde in Deutschland die erste E-Mail empfangen. Michael Rotert von der Universität Karlsruhe empfing unter seiner E-Mail Adresse „rotert@germany“ eine E-Mail aus den USA, die einen Tag zuvor abgeschickt wurde. In den 90er Jahren wurde das Internet für die breite Masse zugänglich und der erste Webmail-Anbieter ging 1996 online. Nunmehr konnte sich jeder mit einem Internet-Zugang eine eigene E-Mail-Adresse anlegen.

Von heute auf morgen (und auch noch flächendeckend) hat da gar nichts funktioniert, auf jeden Fall hat man nicht gleichzeitig die Briefpost eingestellt.

Die Einführung der eAU startete zum 1. Oktober 2021. Die Übermittlung von Daten über die Bescheinigung von Arbeitsunfähigkeit sollte ab diesem Zeitpunkt digital auf direktem Weg vom Arzt an die Krankenkasse erfolgen. Da die notwendigen technischen Voraussetzungen für die eAU noch nicht flächendeckend nutzbar sind – der KIM-Dienst steht noch nicht überall zur Verfügung – können in einer (mit Sicherheit viel zu knapp bemessenen) Übergangszeit bis zum 31. Dezember 2021 die Arbeitsunfähigkeitsdaten nach dem bisher praktizierten Papierverfahren unter Verwendung der bisherigen Formulare übermittelt werden.

Sollte man aber etwas Neues nicht erst dann einführen, wenn alle Voraussetzungen für eine reibungslose Handhabung gegeben sind – erst recht, wenn es als Verpflichtung ausgestaltet ist? Genügen denn der Politik die Erfahrungen des bisherigen Aktionismus nicht?

Genau genommen kann es uns Ärzten ziemlich egal sein, ob KIM wie das E-Mail-System jahrelang braucht, bis es zuverlässig läuft, denn für den Kern der ärztlichen Tätigkeit – die Behandlung der Patienten – ist dieses System und dessen Anwendungen weitgehend irrelevant. Allerdings haben wir ja so unsere Erfahrungen mit den Zwangsmaßnahmen (Honorarkürzungen wie bei der elektronischen Patientenakte – pauschal um ein Prozent – oder zuvor schon beim Versichertenstammdatenmanagement – pauschal um mittlerweile zweieinhalb Prozent). Den Modernisierungshebel beim Arzt in dieser Form anzusetzen, lässt schwere Zweifel an der politischen Lernfähigkeit aufkommen.

Jetzt soll der Arzt auch Elektronikexperte sein und nur allzu gern würde man ihm zudem die Verantwortung für die Sicherheit der TI-Struktur mit ihren diversen Anwendungen überhelfen. Diesbezüglich weist die gematik zutreffend darauf hin, dass durch § 332 SGB V wenigstens klargestellt wurde, dass ein maßgeblicher Teil der Verantwortung für die Herstellung und die Wartung des Anschlusses von informationstechnischen Systemen der Leistungserbringer an die Telematikinfrastruktur bei den im Auftrag der Leistungserbringer handelnden IT-Dienstleistern liegt. Dies befreit uns aber nicht von dem jetzt wesentlich höheren Risiko, Opfer eines Cyber-Angriffs zu werden und aufgrund des gehackten Praxissystems und krimineller Datenverschlüsselung massive Schäden zu erleiden. Diese Gefahr betreffend sind wir an die KBV mit dem dringenden Anliegen herangetreten, nicht nur die Kosten für Cyber-Versicherungen honorarmäßig einzupreisen, sondern sich auch für die Gestaltung sachgerechter versicherungsrechtlicher Rahmenbedingungen einzusetzen. Letzteres heißt, dass die Erfüllung sämtlicher hard- und softwareseitiger Bedingungen, um überhaupt eine Cyber-Versicherung abschließen zu können, für die Ärzte kostenneutral sein muss – also zu Lasten der GKV zu finanzieren ist.

Mit dem Wissen, dass auch durch derartige Bemühungen die neue (elektronische) Welt nicht automatisch schön wird (obwohl ich andererseits vielleicht auch von einigen als Maschinenstürmer bezeichnet werde), verbleibe ich

mit freundlichen kollegialen Grüßen

Ihr Klaus Heckemann