Neue zukunftsfähige Strukturen und mehr intersektorales Verständnis

Als die Vertreterversammlung der KV Sachsen 2017 beschloss, den Ärztlichen Bereitschaftsdienst umfassend zu reformieren, waren die Befürchtungen in Teilen der Ärzteschaft groß. Die vorherige Reform war noch nicht lange her und der Handlungsdruck erschien den meisten Ärzten gar nicht so stark.

Das alte System bestand aus 95 Bereitschaftsdienstbereichen (wenige Jahre zuvor waren es noch deutlich über 130). Trotzdem gab es auch damals nicht von der Hand zu weisende Vorteile: z. B. war es damals weniger anonym als heute, die Entfernungen waren deutlich kürzer und die Kosten überschaubarer. Dies alles sollte sich nun mit der Reform ändern – schon allein, weil die Bereiche deutlich größer wurden und damit eine gewisse Anonymität automatisch einhergeht. Trotz dieser Befürchtungen war es für die KV Sachsen keine Option, an Bestehendem festzuhalten.

Neue Strukturen

Um zukunftsfähige Strukturen zu schaffen, mussten die neuen Konzepte umgesetzt werden. Der Gesetzgeber ließ der KV Sachsen keine andere Wahl. Die Gefahr bestand darin, dass regulierende Eingriffe durch die Politik zu Honorarabflüssen an die Krankenhäuser oder perspektivisch auch zur umfassenden Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung führen würden.

Die Risikobewertung ergab, dass die KV Sachsen ihre Pläne umsetzen konnte. Gestartet wurde zum 2. Juli 2018 mit den neuen Strukturen in drei Pilotregionen, bestehend aus sechs Bereitschaftspraxen, zentral organisierten Fahrdiensten und einer zentralen Vermittlung der Bedarfsanfragen für die Pilotregionen Annaberg/Mittlerer Erzgebirgskreis, Görlitz/Niesky und Delitzsch/Eilenburg.

Nach einem umfangreichen Evaluationszeitraum und Zustimmung durch die Vertreterversammlung begann zum 1. Oktober 2019 der erste Rollout der Reform mit zwölf Bereitschaftspraxen in acht neu geschaffenen Bereitschaftsdienstbereichen. Dieses Tempo musste beibehalten werden, um das Ziel von 39 Bereitschaftspraxen in 23 Bereichen in Sachsen bis Oktober 2021 zu erreichen.

Sicher war es nicht ganz einfach, in den zeitweise turbulenten KV-vor-Ort-Veranstaltungen die Mehrheit von den Plänen zu überzeugen. Dank guter Argumente des Vorstandes war es möglich, auch in schwierigen Diskussionen für die neuen Strukturen zu werben. Mut und Durchhaltevermögen zahlten sich aus. Die Kritiker wurden leiser, verstummten aber nicht ganz.

Es erreichten uns Beschwerdeschreiben, die sehr ernst genommen wurden. Sie erhielten auch konstruktive Inhalte, die dankbar aufgenommen wurden. Manchmal konnte man auch schmunzeln, wie z. B. bei der Forderung nach „Thermodecken und Tee in Fahrzeugen im Winter“ oder (hoffentlich nicht ganz ernst gemeinten) Vorschlägen wie „das BD-System professionellen Anbietern zu übergeben“, nämlich Vertreterfirmen. Ein Teil der Kritiker warf der KV Sachsen eine „luxuriöse Ausstattung der Bereitschaftspraxen“ vor – obwohl die KV Sachsen keine High-End-Medizin, sondern eine überbrückende Behandlung gewährleisten will und die Praxen entsprechend einrichtet. Andere Ärzte wiederum wollten „die Einrichtung/den Betrieb der Portalpraxis vergaberechtlich prüfen lassen“ – wobei die KV Sachsen in der Standortfrage nach klar definierten und reproduzierbaren Kriterien vorgegangen ist. Die meisten, oft emotional vorgetragenen, Bedenken konnten glücklicherweise überwiegend ausgeräumt werden.

Der zentral organisierte Fahrdienst und die Begleitung der Ärzte durch einen medizinisch ausgebildeten Fahrer zum Patienten erhöhten den gefühlten Sicherheitsfaktor in oft unbekanntem Terrain merklich. Zudem bieten die Notaufnahmen, die räumlich oft sehr gut erreichbar sind, den Ärzten im Bereitschaftsdienst eine vertrauensvolle Rückspracheebene. Natürlich fand auch die spürbar reduzierte Dienstbelastung pro Quartal schnell Anklang.

Mehr intersektorales Verständnis

Der Ärztliche Leiter der Bereitschaftspraxis am Städtischen Klinikum Görlitz, Dr. med. Leonhard Großmann, schätzt die neuen Strukturen wie folgt ein:

„Seit der Einrichtung der kassenärztlichen Bereitschaftspraxis am Städtischen Klinikum Görlitz Mitte 2018 konnte durch die zentrale Lage, den niederschwelligen Zugang sowie die begleitende Informationskampagne rund um die 116 117 die zielgerichtete Inanspruchnahme wie auch die Patientensteuerung in der Region substanziell verbessert werden.

Gerade in den zurückliegenden pandemischen Monaten hat sich diese Struktur als zentrale Anlaufstelle für Patienten außerhalb der regulären Sprechzeiten bewährt, und wir konnten zum 4. Quartal 2020 den kinderärztlichen Bereitschaftsdienst zusammen mit den kinderärztlichen Kollegen erfolgreich in unsere Bereitschaftspraxis integrieren. Die Interaktion mit den im Krankenhaus tätigen Kollegen wurde durch die räumliche Nähe zur zentralen Notaufnahme intensiviert und das intersektorale Verständnis füreinander verbessert, aber auch Versorgungslücken wurden demaskiert.

Die anfänglichen „Kinderkrankheiten“, wie z. B. die Erreichbarkeit der Bereitschaftsdienstvermittlungszentrale, die Meldung der Dienstbereitschaft usw. haben sich ebenso wie manch technisches Vor-Ort-Problem im Laufe der Zeit schrittweise lösen lassen. Im Kontext zur Reform des Fahrdienstes und den hierbei zugebenermaßen weiteren Wegen im deutlichen größeren Bereitschaftsdienstgebiet hat sich manche Befürchtung in Bezug auf die tagesaktuelle Dienstbelastung durch die geringere Dienstfrequenz im Praxis- wie auch Fahrdienst relativiert.“

Zufriedene Patienten

Auch das neu eingestellte nichtärztliche Personal leistet täglich eine nicht zu unterschätzende Unterstützungstätigkeit. Dazu gehören das Einlesen der Chipkarten am Empfang, beruhigende Worte für die großen und kleinen Patienten, fachliche Zuarbeiten – und auch die Überbrückung wenig frequentierter Zeiten. Die leitende Schwester in Zschopau, Sindy Muhs-Harz sieht die gute Arbeit direkt am Patienten und freut sich, wenn „viele Patienten, von Kindern bis Erwachsenen, wieder zufrieden nach Hause gehen“. Das Miteinander und die sehr gute Zusammenarbeit möchte sie nicht missen. Sie ist immer mit viel Herz dabei und erzählt, dass bei kleinen Patienten auch schon die ein oder andere „Tapferkeitsurkunde“ aufmuntern konnte. Und sie weiß: „Auch ein kleines Pflaster auf das eigene Kuscheltier kann Wunder bewirken.“

Kontinuierliche Weiterentwicklung der Ärztlichen Vermittlungszentrale

Trotz Anfangsschwierigkeiten ist die Ärztliche Vermittlungszentrale (ÄVZ) in Leipzig inzwischen gut aufgestellt. Es haben sich mittlerweile gut eingespielte Teams entwickelt, bestehend aus Fahrer, Disponent und diensthabendem Arzt: eine Allianz, die im Dienst-Alltag mit vielen Herausforderungen praktisch unbezahlbar ist.
Zusätzlich hat sich die Etablierung des beratenden Arztes als ein großer Vorteil, auch für die diensthabenden Bereitschaftsärzte, erwiesen. Peter Raue, Vorsitzender der Bereitschaftsdienstkommission und beratender Arzt in der Ärztlichen Vermittlungszentrale:

„Für einfache Fragen, wie beispielsweise Veränderungen der Insulindosis oder Fragen nach der Medikamenteneinnahme, muss – im Gegensatz zu früher – kein Hausbesuch mehr gefahren werden. Die bestehenden Systeme der Ärztlichen Vermittlungszentrale wurden kontinuierlich weiterentwickelt. Kritisch muss gesehen werden, dass die Gefahr besteht, dass diese Tätigkeit zur Telefon-Sprechstunde übergeht – und das ist definitiv weder gewollt noch ärztlicherseits tragbar. Keinesfalls ersetzt der beratende Arzt die oft notwendige direkte Arzt-Patienten-Begegnung. Hier muss sorgfältig abgewogen werden, letztendlich auch durch die ärztlichen Kollegen in der Leitstelle. Diese haben die Möglichkeit, jederzeit einen Arzt einzubeziehen und damit zusätzliche Erfahrungen zu sammeln, um künftig die Qualität der Vermittlung weiter zu verbessern. Dies ist eine sehr sinnvolle Unterstützung für die Agenten und Disponenten.“

Der ärztliche Bereitschaftsdienst wird wohl immer etwas unliebsam in der Ärzteschaft bleiben, zum Einen weil es eine vom Gesetzgeber auferlegte Pflicht ist, die als zusätzliche Belastung in einem ohnehin vollen Arbeitstag empfunden wird, zum Anderen wegen der zu erhebenden Umlage. Es gibt in diesem Bereich sehr viele Beteiligte – Politik, Patienten und natürlich die Ärzteschaft – sowie Interessen, die gebündelt und betrachtet werden müssen. Auch wenn der Bereitschaftsdienst finanziell nicht unbedingt attraktiv ist, setzt die KV Sachsen weiterhin auf Ihre Mitarbeit und Ihr Verständnis, um die notwendigen dynamischen Veränderungen anzugehen.