"Das Wenige, das du tun kannst, ist viel."

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

in der heutigen Ausgabe möchte ich ein Wort beleuchten, das teilweise inflationär benutzt, aber zu wenig Verwendung findet: Die Solidarität.

Der Duden nennt zwei verschiedene Definitionen:

  1. unbedingtes Zusammenhalten mit jemandem aufgrund gleicher Anschauungen und Ziele

  2. (besonders in der Arbeiterbewegung) auf das Zusammengehörigkeitsgefühl und das Eintreten füreinander sich gründende Unterstützung

Bei Wikipedia liest es sich so:

Solidarität – die, lateinisch solidus „gediegen, echt, fest“ oder solidarisch bezeichnet eine zumeist in einem ethisch-politischen Zusammenhang benannte Haltung der Verbundenheit mit – und Unterstützung von – Ideen, Aktivitäten und Zielen anderer. Sie drückt ferner den Zusammenhalt zwischen gleichgesinnten oder gleichgestellten Individuen und Gruppen und den Einsatz für gemeinsame Werte aus (siehe auch Solidaritätsprinzip). Der Gegenbegriff zur Solidarität ist die Konkurrenz.

„Solidarität“ – für alle vor 1980 Geborenen hat das Wort neben seiner Bedeutung einen eher hohlen Beiklang. Für irgendwen wurde immer gekämpft oder demonstriert und gespendet; häufig für Menschen und Länder die man weder kannte noch irgendwann zu den nächsten Reisezielen zählen konnte. Dieses völlig abstrakte, von der Realität entkoppelte Verständnis von Solidarität – auf welche Weise werden wohl Protestkarten zum Sturz Augusto Pinochets beigetragen haben und wie die tausenden Tonnen von Altpapier zur Freilassung von Nelson Mandela? – hat, wie es scheint, bei manchen Zeitgenossen dazu geführt, dass die Umsetzung dieses an sich hehren Prinzips völlig ins Hintertreffen zu geraten scheint. Und leider hat sich bei einigen so die zweite Definition zur Kernform der Solidarität festgesetzt, vom Prinzip: wir arbeiten uns für die Arbeiterklasse ab und es bringt nichts.

Dabei ist Solidarität so viel mehr. Die Universität Hamburg hat es relativ einfach erklärt: Solidarität bezeichnet das gegenseitige füreinander Eintreten in einer Gemeinschaft und beschreibt einen gesellschaftlichen Zustand, in dem die Beziehungen zwischen den einzelnen Menschen und dem Gemeinwesen (Gemeinwesenarbeit) gleichermaßen durch Eigenständigkeit und Verantwortung der Individuen und durch Anspruch und Verantwortung des Gemeinwesens gekennzeichnet sind.

Und tatsächlich hat nicht zuletzt die Flut in einigen Teilen Deutschlands gezeigt, dass die Menschen sich in der Not helfen, auch unter der instinktiven Annahme, dass es nichts nützt, wenn ich allein vor mich hin pumpe, solange im Nachbarhaus noch alles vollgelaufen ist. Gemeinsam sind wir also nicht nur stärker sondern können auch noch effizienter und häufig besser arbeiten. Irritierend ist dann doch die in letzter Zeit häufig anzutreffenden Auswüchse, die das Solidaritätsprinzip ad absurdum führen.

In Zeiten der Pandemie erleben wir alle Ausnahmesituationen, die bei vielen tatsächlich zum Eintreten für die Gemeinschaft, jedoch bei anderen eher zum Zusammenhalten auf Grund nun ja „gleicher“ Ziele führt. Letzteres jedoch führt nicht zwingend zum füreinander Eintreten in einer Gemeinschaft, sondern es zeigen sich Risse im gesellschaftlichen Konsens. Der Gemeinschaft wird häufig der Gemeinwesengedanke abgesprochen und dies nicht im zivilisierten Gespräch, sondern im sächsisch ausgedrückten Geplärre. Da wird eine Diskussion mit Totschlagargumenten nieder geschrien und ein Gespräch ist nicht gewünscht.

Nun mag das für irrelevante Themen nur marginal interessieren und hat es auch schon immer gegeben, wenn allerdings kein Gespräch in Normallautstärke mehr führbar ist bzw. der andere sofort als intellektuell minderbemittelt dargestellt wird, mit dem überhaupt kein Gespräch mehr nötig ist, dann ist das nicht nur dem Gemeinwesen, sondern auch der Mitmenschlichkeit abträglich. Irgendwann lacht uns das Tierreich aus, da die dortigen Brüllattacken zumindest deutlich häufiger einen Grund haben, als die beleidigenden Philippiken, die auf manchen herniederprasseln, der z. B. das Impfen nicht als Chipweitergabe anerkennen kann. Und genau an diesem Punkt kommt dann wieder die Solidarität ins Spiel.

Der Zusammenhalt von uns Menschen und der Einsatz für gemeinsame Werte ist eben nicht der Kampf um die persönliche Freiheit, sondern eher das sich Kümmern um Hilfsbedürftige – wobei die Hilfe in diesem Fall ein weites Feld umspannt. Und wem das zu theoretisch ist: Wenn ich durch eine Impfung oder das Tragen meiner Maske nur einen Menschen weniger anstecke, dann ist das ein großer Beitrag für die Gemeinschaft, denn auch dieser eine gehört dazu – ob man ihn kennt oder nicht. Vielleicht ist dieser Artikel ein persönlicher, da ich im Frühjahr auf der Beerdigung eines Menschen war, den ich gut kannte und der nicht wusste, wer ihn angesteckt hat.

Solidarität ist nicht unbedingt für den Egotrip geeignet, aber sie hilft als Gemeinschaft zusammen zu leben und nicht auseinander zu fallen. Und da die Zahlen eine klare Sprache sprechen, wäre es im Rahmen dieser Solidarität extrem wichtig, dass man als Arzt in dieser Gemeinschaft tatsächlich etwas für das Fortbestehen dieser erwirken sollte. Selbst wenn Sie also diese Pandemie lächerlich finden, das „sogenannte“ Virus negieren oder einen dritten Weg für sich gefunden haben – im Sinne der Solidarität und der Verantwortung ist es Ihre Aufgabe den Patienten nicht zu verunsichern! Das heißt: die Hygienevorschriften ernst zu nehmen und bei einem nicht von Ihnen erfüllbaren Impfwunsch an Kolleginnen und Kollegen zu verweisen. Denn dies kann vielleicht dazu beitragen, diese Gemeinschaft zu erhalten, damit wir weder psychisch gestört aus einem erneuten Lockdown herausgehen müssen, noch dass jemand einen Tod an diesem „nicht vorhandenen Virus“ erleidet. Bitte vergessen Sie nicht, Solidarität ist der Zusammenhalt zwischen gleichgestellten Individuen – und Ärzte sind wir alle.

In diesem Sinne: Bleiben Sie solidarisch und diesmal für uns!

Das Wenige, das du tun kannst, ist viel.

Albert Schweitzer (1875 – 1965)

Ihre

Grit Richter-Huhn