"Ärzte, Psychotherapeuten und Patienten müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass die Nutzung der für die TI erforderlichen Komponenten keine Gefährdung sensibler Daten bedeutet."

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Praxen – überwiegend hausärztliche und auf dem Lande – werden geschlossen, weil die Suche nach einem Nachfolger ergebnislos blieb, auch weil es nicht gelang, das Interesse von Famulanten, Studenten im Praktischen Jahr, Ärztinnen oder Ärzten in Weiterbildung zu wecken, diese Praxen und ihr Umfeld kennenzulernen und vielleicht Gefallen daran zu finden. Patienten strömen zur nächsten, übernächsten oder überübernächsten Praxis in der Hoffnung, dass sich wieder jemand ihrer annimmt. Wer sich dazu durchringt, wird dann heutzutage oft noch konfrontiert mit Bündeln von Karteien, Fremdbefunden usw. in Papierform. Das Volumen eines solchen Bündels erinnert oft schon an einen kleinen Schuhkarton. Für die Sichtung sowie das Einpflegen von Diagnosen und Medikamenten in das eigene Praxisverwaltungssystem kann man als Hausarzt pro neuem Patienten im Durchschnitt gut eine halbe Stunde rechnen, ergibt bei 100 Patienten fast eine Woche Arbeit, ohne Sprechstunde, Hausbesuche und die tägliche Bürokratie mitzurechnen.

Auch wenn man sonst über die elektronische Patientenakte unterschiedlicher Meinung sein kann, angesichts eines Wäschekorbes voller solcher Bündel wünscht man sich stattdessen inständig diese Akten in digitalisierter Form, welche nach ärztlicher Sichtung mit wenigen Mausklicks übernommen werden können. Das wäre ein ansehnlicher Gewinn an Zeit und Lebensqualität sowie eine Chance, den Herausforderungen durch die Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur und in der Ärzteschaft gewachsen zu bleiben.

Es ist aber nicht allein eine Frage der Datenspeicherung, sondern auch der Datenübermittlung. Diese erfolgt derzeit noch überwiegend nach Umwandlung der elektronischen in eine papiergebundene Speicherform und später wieder zurück, sofern das zum Beispiel durch einen QR-Code auf dem Ausdruck möglich ist wie beim bundeseinheitlichen Medikationsplan. Solche Medienbrüche sind mit zusätzlichem personellen und Sachaufwand verbunden. Mit der Möglichkeit, den Medikationsplan in der elektronischen Patientenakte zu führen, können alle vom Patienten autorisierten Ärzte auch diesen Plan sofort elektronisch bearbeiten. Darin liegt eine wesentliche Verbesserung zum ausgelaufenen Modellprojekt ARMIN, welches erstmals eine ähnliche Option bot, aber noch auf Hausarzt und Apotheker beschränkt war. Trotzdem wurden damit wichtige Erfahrungen gesammelt.

Auch kontinuierliches sensorgestütztes Telemonitoring, zum Beispiel von Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselparametern bei chronischen Erkrankungen, lässt sich gut in eine solche elektronische Patientenakte integrieren. Es kann persönliche Kontakte zum Teil ersetzen und hat dadurch während der Corona-Pandemie einen deutlichen Zuwachs erlebt. Zu den nächsten wichtigen Zielen dabei gehören eine bessere Flächendeckung der Verfügbarkeit solchen Monitorings und eine geringere Störanfälligkeit der Anbindung zum Beispiel von Pflegeheimen.

Ein weiterer, vom (potentiellen) Umfang her sicher noch wichtigerer Anwendungsbereich für die medienbruchfreie Datenübermittlung wurde zuerst mit KV-Connect im KVSafeNet, dem sicheren Netz der Kassenärztlichen Vereinigungen, für alle Mitglieder geschaffen mit der Möglichkeit eines gesicherten E-Mail-Versandes. Diese Kommunikationsplattform ließ sich allerdings nicht für stationär tätige Kolleginnen und Kollegen ausbauen. Stattdessen wurde zu diesem Zweck im Rahmen der Telematikinfrastruktur (TI) der gesicherte E-Mail-Versand über KIM (Kommunikation im Medizinwesen) ins Leben gerufen. Die Zahl der KIM-Anschlüsse in sächsischen Arztpraxen stieg von 29 Mitte 2020 (was einem Anteil von 0,5 Prozent entspricht) auf 2.037 Ende 2021 (36 Prozent) und die Zahl der versendeten eArztbriefe verdoppelte sich. Ein Problem, welches noch überwunden werden muss, ist die oft mangelnde Interoperabilität zwischen verschiedenen Praxisverwaltungssystemen. Auch fehlt als Ergänzung eine sichere Messenger-App für das digitale kollegiale ärztliche Gespräch ebenso wie flächendeckend verfügbare, abgesicherte und virtuelle Identitäten für Ärztinnen und Ärzte.

Wobei würde uns Digitalisierung noch nützen? Natürlich bei einem Bürokratieabbau, welcher diesen Namen verdient. Aus einer exakten ICD-Kodierung sollten sich zum Beispiel verpflichtende Meldungen an Gesundheitsämter (deren ausreichende digitale Anbindung vorausgesetzt), Reha-, Schwerbeschädigten- oder Hilfsmittelanträge sowie die oft weniger sinnvollen Anfragen von Krankenkassen oder Arbeitsämtern so weit wie möglich automatisch ableiten lassen.

Was darüber hinaus zum Beispiel die Nutzer von Secunet-Konnektoren unter uns in den letzten Monaten belastet hat, ist das folgende Problem. Bei einem Fehler im Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) speichern diese Konnektoren die Seriennummer der betreffenden eGK (ICCSN) zusammen mit Sicherheitsprotokollen, was laut Spezifikation der gematik unzulässig und von ihr im Zulassungsprozess des Konnektors zu prüfen ist. Das Bundesministerium für Gesundheit als Mehrheitsgesellschafterin der gematik ist dafür verantwortlich, zu überwachen, ob letztere ihrer Aufgabe gerecht wird – um andernfalls Konsequenzen zu ziehen. Ärzte, Psychotherapeuten und Patienten müssen sich unbedingt darauf verlassen können, dass die Nutzung der für die TI erforderlichen Komponenten keine Gefährdung sensibler Daten bedeutet. Dies hat auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung in ihrer Resolution vom 4. März 2022 klargestellt. Als Übergangslösung kann die Speicherung der VSDM-Log-Dateien im Konnektor manuell deaktiviert werden, nach Anleitung des Herstellers. Langfristig werden über eine neue Konnektor-Firmware die eGK-Seriennummern nicht mehr in den Log-Dateien

im Konnektor gespeichert (www.secunet.com/stellungnahme-zertifikatsseriennummern-konnektor ).
Funktionalität bringt Nutzen – und der überzeugt. Zwang stattdessen schreckt ab. Es gibt also noch einiges zu tun, aber ich denke, man kann die Eingangsfrage auch jetzt schon so beantworten: Digitalisierung bedeutet mehr Segen als Last.

Bleiben wir zuversichtlich!
 
Ihr Axel Stelzner