Die Deutsche Rentenversicherung Bund prüft sehr streng, ob bei ärztlichen Vertretungstätigkeiten eine selbständige oder eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt.

Sowohl in Einzelpraxen als auch in Gemeinschaftspraxen kann diese Prüfung zu hohen Kosten bzw. Nachzahlungen von Sozialbeiträgen führen.

Folgender Sachverhalt lag einem im Oktober 2021 veröffentlichten Urteil des Bundessozialgerichtes (Az: B 12 R 1 / 21 R) zugrunde: In einer aus mehreren Gesellschaftern bestehenden ärztlichen Gemeinschaftspraxis (spätere Klägerin zu 1) war an einzelnen Tagen in den Jahren 2013 und 2014 eine in einem Krankenhaus angestellte Oberärztin als Vertreterin tätig (spätere Klägerin zu 2). Im Fall der Abwesenheit eines Gesellschafters wegen Urlaub oder Krankheit übernahm diese aufgrund kurzfristiger Absprachen die Vertretung. Die Ärztin führte mit den in den Räumen der Gemeinschaftspraxis befindlichen Mitteln endoskopische Untersuchungen durch, erstellte Befundberichte und gab Therapieempfehlungen. Ärztlichen Weisungen unterlag sie nicht.

Arbeitsmittel und Schutzkleidung erhielt die Ärztin von der Gemeinschaftspraxis. Sie erhielt eine Vergütung von 80 Euro/Stunde, die sie gegenüber der Gemeinschaftspraxis abrechnete. Mit Bescheiden / Widerspruchsbescheiden vom 28.09.2015/08.02.2016 entschied die später beklagte Deutsche Rentenversicherung, dass die Tätigkeit der Vertretungsärztin bei der Gemeinschaftspraxis im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.

Dagegen wehrten sich die Gemeinschaftspraxis (Klägerin zu 1) und die Vertretungsärztin (Klägerin zu 2) und waren zunächst beim Sozialgericht erfolgreich. Mit der von der beklagten Rentenversicherung eingelegten Sprungrevision landete der Rechtsstreit beim Bundessozialgericht (BSG). Das BSG entschied zugunsten der Sozialversicherung.

Die Richter wiesen zunächst darauf hin, dass mangels einer schriftlichen Vereinbarung die Bewertung anhand der mündlichen Abreden und der vorgenommenen Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen vorzunehmen sei. Die Vertretungsärztin hatte im konkreten Fall keine Verpflichtung zur Übernahme einer bestimmten Anzahl von Vertretungen und konnte über jede Anfrage kurzfristig und frei entscheiden. Allerdings unterlag die Vertretungsärztin – so das BSG – zumindest einem rudimentären Weisungsrecht der Gemeinschaftspraxis. Ferner sei die Ärztin in einer ihre Tätigkeit prägenden Weise in den Betriebsablauf eingegliedert gewesen. Ein Weisungsrecht habe zumindest hinsichtlich der Räume und Geräte bestanden. Auch sei die Vertretungsärztin in die Arbeitsabläufe eingegliedert worden und habe arbeitsteilig mit dem Praxispersonal zusammengearbeitet.

Im SGB IV ist eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als nichtselbständige Arbeit definiert, die Weisungen folgt und mit einer Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers verbunden ist. Dabei ist es keinesfalls ausreichend, entsprechende Klauseln in den Vertretungsvertrag aufzunehmen, sie müssen auch nachweislich umgesetzt worden sein.

Die Rechtsprechung zum Vertretungsarzt gibt es schon seit rund 60 Jahren. Das Bundessozialgericht hatte in einem Urteil von 1959 festgestellt, dass die ärztliche Praxisvertretung in einer inhabergeführten Einzelpraxis unter Umständen als selbständige Tätigkeit eingeordnet werden kann.

Maßgeblich für eine selbständige Tätigkeit ist, dass der Arztvertreter die Stelle des Praxisinhabers einnimmt und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktion erfüllt, soweit bereits in der Arztpraxis Arbeitnehmer tätig sind. Dazu gehört auch, dass die Praxisräume des vertretenen Arztes genutzt werden können. Maßgeblich sei, dass der Praxisvertreter bei der Ausübung seiner Tätigkeit keinen Weisungen unterworfen ist und die alleinige ärztliche Verantwortung für die Behandlung der Patienten trägt.

Der Vertreterstatus hatte im konkreten Fall – so das BSG – den Klägern nicht geholfen. Vielmehr könne dahinstehen, ob und unter welchen Voraussetzungen in einer Gemeinschaftspraxis überhaupt ein Vertretungsfall im Sinne des § 32 Ärzte-Zulassungsverordnung eintreten könne. Ebenso wenig begründe die Berufshaftpflichtversicherung der Klägerin ein ins Gewicht fallendes Risiko. Das BSG hatte den zu entscheidenden Fall unter Verweis auf die o. g. Entscheidung aus dem Jahr 1959 abgegrenzt von dem Fall, wo ein Arztvertreter für die Dauer seiner Tätigkeit die Stelle des Praxisinhabers übernimmt (also anders als bei einer Gemeinschaftspraxis nur einen Gesellschafter vertritt) und zeitweilig selbst dessen Arbeitgeberfunktion erfüllt. Aus hiesiger Sicht sollte auch in diesem Fall vorab durch den Praxisinhaber geprüft werden, ob der geplante Vertretervertrag und seine geplante Umsetzung nicht doch für ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis sprechen.

Fazit: Auf die Gemeinschaftspraxis kommen im geschilderten Beispiel sicher erhebliche Nachzahlungen zu. Probleme kann es auch im Verhältnis der Gemeinschaftspraxis 2 zur Vertreterin geben. Rückabwicklungen sind oft mit Aufwand und Ärger verbunden. Sofern ein Arzt einen Arzt als Vertreter frei beschäftigen will – d. h. nicht sozialversicherungspflichtig – muss er diesem erhebliche Freiheiten einräumen. Das beginnt mit den Zeiten der Tätigkeit und endet mit der Aufbürdung betriebswirtschaftlicher Risiken. Insofern sollte gerade auch bei absehbaren längerfristigen Vertretungen vorab Rechtsrat eingeholt und geprüft werden, ob z. B. eine befristete Anstellung in Frage kommt, um späteren Ärger mit der Sozialversicherung zu vermeiden. Die Einholung von Rechtsrat ist auch deshalb zu empfehlen, da zum 1. April 2022 die Reform des Statusfeststellungsverfahrens nach § 7 a SGB IV (welches Rechtssicherheit über selbstständige oder abhängige Beschäftigung geben soll) in Kraft getreten ist.