Der ehemalige stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Prof. Heiner Porst, und der amtierende Vorstandsvorsitzende, Dr. Klaus Heckemann im Interview.

Im Jahr 2013 gab es zum ersten Mal für 20 Abiturienten die Möglichkeit, mit Unterstützung der KV Sachsen im ungarischen Pécs ein Medizinstudium aufzunehmen. Seitdem haben schon drei Jahrgänge ihr Studium abgeschlossen. Nach der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin sollen sie als Hausärzte in Sachsen tätig werden. Fragen zur Entstehung des Modellprojektes und den Zukunftsaussichten beantworten der ehemalige stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Prof. Heiner Porst, und der amtierende Vorstandsvorsitzende, Dr. Klaus Heckemann.

Woraus ergab sich die Notwendigkeit, damals ein solches Nachwuchsförderungsprojekt ins Leben zu rufen?

Dr. Heckemann: Die Situation war 2012/2013 etwas paradox: Die Krankenkassen waren viele Jahre damit befasst, eine vermeintliche ärztliche Überversorgung zu dokumentieren. Man hatte sogar in den 90er Jahren von einer „Ärzteschwemme“ gesprochen. Doch zeichnete sich mit der Zeit immer deutlicher ab, dass künftig eine Unterversorgung drohte bzw. in ländlichen Gebieten schon eingetreten war. Rund 400 Hausärzte waren damals schon über 60 Jahre alt. Damit war abzusehen, dass sie in den nächsten Jahren ihre Praxis abgeben würden und die Suche nach einem Nachfolger eine Herausforderung darstellen würde.

Prof. Porst: Obwohl das Interesse am Medizinstudium und am Arztberuf groß ist, reichen die Ausbildungskapazitäten in Deutschland bei Weitem nicht aus, um allen Abiturienten, die Arzt werden wollen, ein Medizinstudium zu ermöglichen. Die Studienplatzvergabe erfolgt immer noch vorrangig nach Numerus clausus. Das bedeutet, ein großes Potential für ärztlichen Nachwuchs ist vorhanden, bleibt aber ungenutzt. Eine kurzfristige Lösung im eigenen Land war damit nicht absehbar. Die Zuständigkeit der universitären Bildung liegt beim Wissenschaftsministerium, doch gab es zum damaligen Zeitpunkt von dieser Seite keine Bestrebungen, mehr Studienplätze für Mediziner zu schaffen.

Dr. Heckemann: So entschlossen wir uns zu diesem ungewöhnlichen Schritt: wir wollten als KV Sachsen gemeinsam mit den Krankenkassen ein gefördertes Auslandsstudium – vorerst als Modellprojekt – etablieren, um der drohenden ärztlichen Unterversorgung wirksam entgegenzutreten.

Wie entstand die Idee zum Modellprojekt im Ausland?

Prof. Porst: Es war ein „gemeinsames Kind“ der Vorstände der KV Sachsen! Als junger Medizinstudent konnte ich selbst auf sehr positive Erfahrungen mit meinem Auslandsstudium in Olmütz in der damaligen Tschechoslowakei zurückgreifen. So entwickelte sich die Idee, die Ausbildung zusätzlicher Medizinstudenten, insbesondere zukünftiger Landärzte, an einer Universität im europäischen Ausland zu fördern.

Dr. Heckemann: Dass die Wahl auf Ungarn fiel, ergab sich aufgrund der langjährigen Erfahrungen der ungarischen Universitäten mit der Ausbildung europäischer Studierender und eines nur dort angebotenen durchgängigen deutschsprachigen Studiengangs Humanmedizin.

Wie konnte die Finanzierung des Projektes gelingen?

Dr. Heckemann: Wir haben gegenüber den Krankenkassen argumentiert, dass dieser Weg der Nachwuchsförderung künftig die Patientenversorgung verbessern würde. Danach konnte ihre Hälfte der Finanzierung der Studiengebühren aus dem Strukturfonds freigegeben werden.

Prof. Porst: Der andere Teil der Fördersumme stammt aus dem Honorar der niedergelassenen Ärzte. Die sächsischen Ärzte wissen das und unterstützen die Nachwuchsgewinnung.

Dr. Heckemann: Unsere Initiative dazu wurde von der Ärzteschaft positiv aufgenommen. Die KV Sachsen leistet damit auch einen kleinen Beitrag für die erfolgreiche Suche ihrer Mitglieder nach Praxisnachfolgern.

Es war also leicht, die sächsischen Ärzte für die Idee des Modellprojekts zu begeistern?

Prof. Porst: Ganz klar: Ja!

Dr. Heckemann: Ein wichtiger Punkt ist: Jeder Arzt kann selbst etwas zur Nachwuchsgewinnung beisteuern, zum Beispiel, sich als akademische Lehrpraxis oder Patenschaftspraxis anzubieten. Die Chance, auf diesem Weg dann einen Nachfolger zu finden, ist aus meiner Sicht gar nicht so gering.

Nach welchen Kriterien werden die künftigen Medizinstudenten ausgewählt?

Dr. Heckemann: Mit dem Medizinstudium in Ungarn können sich viele junge Menschen ihren Traum, Arzt zu werden, erfüllen. Von Anfang an waren uns die Persönlichkeit und die Motivation der Bewerber, Hausarzt in Sachsen zu werden, wichtiger als die Schulnoten. Mit einem Notendurchschnitt bis 2,6 ist die Bewerbung noch möglich. Auch praktische Erfahrungen im Gesundheitswesen bewerten wir positiv. Das Auswahlverfahren erfolgt immer in mehreren Stufen und ist mit der Universität Pécs abgestimmt.

Prof. Porst: Schon für den ersten Jahrgang übermittelte uns der Verantwortliche für die deutschen Studenten in Pécs, dass die Auswahl gut getroffen und die Motivation für das Studium hoch sei. Und einen weiteren Aspekt finde ich wichtig: Selbst wenn ein Bewerber das Auswahlverfahren nicht besteht, könnte sein Interesse am Fachgebiet der Medizin damit weiter verstärkt sein, sodass er möglicherweise über andere Wege oder zu einem späteren Zeitpunkt die medizinische Laufbahn einschlägt.

Wie gestaltete sich der Abschluss des ersten Studienjahrgangs von 2013/2014?

Dr. Heckemann: Das war 2019, und wir waren sehr stolz auf unsere erfolgreichen Absolventen. Unsere Initiative hatte erste Früchte getragen! Einen Tag vor der feierlichen Exmatrikulation an der Universität Pécs hatte die KV den schönsten Saal der Stadt gemietet und eine festliche Veranstaltung für die jungen Mediziner und ihre Familien ausgerichtet. Die damalige sächsische Sozialministerin Barbara Klepsch, der Dekan der Medizinischen Fakultät, Prof. Dr. Miklós Nyitrai, und viele weitere Persönlichkeiten nahmen daran teil. Das war, denke ich, eine sehr gelungene Veranstaltung.

Prof. Porst: Die Abschlussfeier sollte noch einmal unterstreichen, dass die Studenten durch ihren Aufenthalt in Pécs, ihr Verhalten, ihren Fleiß und die bestandenen Prüfungen auch im europäischen Kontext zum Miteinander zwischen Deutschland und Ungarn beigetragen haben.

Danach entschied sich auch der Freistaat Sachsen, in das Projekt einzusteigen. Wie ist das gelungen?

Dr. Heckemann: Das war tatsächlich recht naheliegend. Unsere stellvertretende Vorstandsvorsitzende, Frau Dr. Krug, und ich waren zum Gespräch beim sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer, an dem auch die damalige Sozialministerin Barbara Klepsch teilnahm, eingeladen. Wir erläuterten, dass wir auch gern mehr als bisher 20 Studenten pro Jahrgang fördern würden, unsere Finanzierungsmöglichkeiten aber begrenzt sind. Er überschlug kurz die Studiengebühren – und gab uns eine Zusage. Es war also eine Entscheidung des Ministerpräsidenten, ab dem Jahrgang 2020/21 weitere 20 Medizinstudienplätze an der ungarischen Universität Pécs zu finanzieren.

Wie sehen Sie die Zukunft für das Modellprojekt?

Dr. Heckemann: Ich hoffe sehr, dass wir weiterhin 40 Medizinstudenten pro Jahrgang in unser Modellprojekt „Studieren in Europa – Zukunft in Sachsen“ aufnehmen können. Wenn sie nach dem sechsjährigen Studium bzw. bereits zum Praktischen Jahr zurück in ihre Heimat nach Sachsen kommen, um hier die Facharztweiterbildung für Allgemeinmedizin zu absolvieren und dann als Hausärztin oder Hausarzt tätig zu werden, helfen sie den Menschen in Sachsen und geben uns allen damit auch viel zurück. Dass sich diese Investition in die Zukunft der ärztlichen Versorgung lohnt, wissen wir. Vielen Menschen wird es jetzt zu Zeiten der Corona-Pandemie noch bewusster, wie wichtig eine zuverlässig funktionierende medizinische Versorgung in den Arztpraxen ist.

Prof. Porst: In diesem Jahr ist schon der dritte Absolventenjahrgang in der Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin in Sachsen angekommen. Solange nicht genügend Nachwuchsmediziner an deutschen Universitäten ausgebildet werden, sollte das Projekt auch fortgesetzt werden. Es bestätigt sich hiermit, dass es wichtig und richtig ist, hochmotivierten jungen Menschen die Chance auf ein Medizinstudium zu geben, die sie aufgrund der restriktiven Zulassungsbeschränkungen in Deutschland nicht haben.