Von und mit Jens Spahn. Fortsetzung folgt?

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mich nervt das Thema Impfkampagne, und noch mehr nerven mich Unfähigkeit und Selbstüberschätzung. Ich hoffe, dass es nun mit dem Wechsel im Bundesgesundheitsministerium diesbezüglich vernünftiger und verlässlicher zugeht als bisher. Es geht mir mitnichten um eine Positionierung für oder gegen eine Partei. Warum greife ich jetzt einen Ex-Minister an? Weil wir gerade jetzt die Suppe auslöffeln müssen, die er uns eingebrockt hat. Nicht er allein, aber er war Regisseur und Hauptdarsteller in diesem Stück. Leider ist dieses Stück eben nicht zu Ende, wenn der Vorhang fällt und der Hauptdarsteller die Bühne verlässt.

Der „Eulenspiegel“ titelte im Januar 2021 mit einem tatendurstigen Bild Jens Spahns und dem Slogan: „Das Jahr wird Spritze“. Ganz gleich, wie man zum Impfen steht, jeder wusste – Impfen wird kommen, und das im ganz großen Stil. Nach dem verpatzten Impfstart wurden wir mit der zweifellos bürokratischsten und sperrigsten Corona-
Impfberechtigungsberatungspriorisierungsverordnung beschenkt, die je das Licht der Coronawelt erblickte. Spätestens als in Israel klar wurde, dass die erste und zweite Impfung eben nicht den Schutz vor Neuerkrankungen im gewünschten Maße brachten und dort zügig geboostert wurde, hätte auch im BMG klar sein müssen, dass das Thema zeitnah auf uns zukommen würde.

Die Ministerpräsidentenkonferenz hatte das schnell auf dem Schirm, auch Herr Spahn wartete nicht mit vorschnellen Äußerungen. Monate vergingen – und was haben Herr Spahn und seine Mitstreiter getan? Offenbar zu viel an Selbstdarstellung – und zu wenig konkrete Vorsorge. Vollmundig tönte Spahn nun vor wenigen Wochen, jeder solle sich boostern lassen, und das bitte ganz schnell. Eine sinnvolle und einfache Priorisierung – beispielsweise nach Altersgruppen – Fehlanzeige, wider den Rat von Experten. Nun bestellten alle Biontech-Impfstoff, und erstaunlicherweise wurde Biontech knapp. Spahn griff in die Trickkiste und versuchte zunächst den Mangel an Biontech zu verschleiern, verwies stattdessen auf Moderna, denn dieser Stoff drohe bald zu verfallen – an Instinktlosigkeit nicht zu überbieten. Nicht wenige meiner Patienten wollen nun auf keinen Fall Moderna, weil sie diesem Impfstoff (zu Unrecht) misstrauen. Und wieder passiert, was wir schon einmal im Frühjahr erlebt haben: Der Biontech-Impfstoff wird kontingentiert – und es kommt reflexartig der Vorwurf, die Ärzte impfen zu wenig. Ja bitte, wie denn? Wenn Biontech fehlt, die übergroße Mehrheit der Patienten aber Biontech möchte? Und der Impfstoff viel zu wenig vorrätig ist? Die Überzeugungsarbeit gegen das Kommunikationsdesaster dürfen wieder wir leisten!

Herr Spahn kündigte am 8. Dezember als „Abschiedsgeschenk“ drei Millionen zusätzliche Dosen Biontech an, die aber an die Impfzentren gehen sollen – und nicht (auch) an die Arztpraxen! Wir haben noch am selben Tag auf der Vertreterversammlung der KV Sachsen unser Sozialministerium eindringlich aufgefordert, sich dafür einzusetzen, dass die zusätzlichen Impfdosen zumindest halbwegs sachgerecht verteilt werden. Alles andere würde die Vertragsärzte ausbremsen. Das haben wir alle im Frühjahr schon einmal ertragen müssen! Unsere Patienten vertrauen uns. Aber die Patienten verstehen nicht, dass wir wenig Impfstoff haben, jedoch in manchem Impfzentrum seit kurzem Biontech und Moderna ad libitum feilgeboten werden. Das empfinde ich als Schlag ins Gesicht der Vertragsärzte und als Geringschätzung unserer Arbeit! Und wir bekommen die Nachfragen und Vorwürfe der Patienten. Das zerstört – wieder – Vertrauen.

Nun sollen es Zahnärzte, Apotheker und Tierärzte richten. Diese Diskussion möchte ich hier nicht aufmachen. Es dürfte hoffentlich allen klar sein, dass all dies nichts nützen kann, wenn nicht genügend Impfstoff da ist!

Und nun das Ergebnis der vom neuen Bundesgesundheitsminister angekündigten „Inventur“. Karl Lauterbach räumte am 14. Dezember 2021 ein, dass es im 1. Quartal 2022 zu wenig Impfstoff für die Boosterungen geben wird. Das ist ein klares Wort, und für diese Misere kann Lauterbach auch nichts. Mit diesem taktischen Offenbarungseid sollen nun die Zögerlichen aktiviert werden, sich den Piks noch vor Weihnachten zu holen. Das ist ja auch eine versteckte Absicht dieser Botschaft. Und am selben Tag beschließen die Gesundheitsminister der Länder mit Herrn Lauterbach zusammen, dass die Testpflicht für Geboosterte wegfällt. Die dahinterstehende Absicht ist klar – Motivieren zum Impfen. Aber was werden wohl die Folgen sein? Immer mehr wollen ganz schnell geboostert werden, und woher soll der Impfstoff kommen, dessen Mangel gerade festgestellt wurde? Wir in den Praxen werden das wieder aushalten müssen! Ich hoffe, Herr Lauterbach zieht dann den Joker aus der Tasche, dass dann auf wundersame Weise doch mehr Impfstoff da ist als angekündigt. Wenn er aber zockt, dann geht es schief!

Impfkampagne – der Tragödie letzter Teil? Ich weiß es nicht.

Ihr Stefan Windau