"Wie wenig die ambulante Versorgung in der Niederlassung geschätzt wird, zeigt sich unter anderem darin, dass wir in keiner Weise finanzielle Unterstützung bekommen."

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Legislaturperiode unserer Vertreterversammlung neigt sich dem Ende zu. Für mich war sie die bisher turbulenteste, ist sie doch ganz besonders geprägt auch von äußeren Einflüssen wie Corona und der politischen Entwicklung in der Welt und vor allem in Europa. Ich erspare Ihnen eine Bilanz und Bewertung all unseren Tuns als Körperschaft, das mag jeder für sich tun. Sie haben gewählt.

Das tägliche Handeln in den Praxen, für jeden von uns im Alltagsleben, aber auch in der KV, wird von einem Ereignis zum nächsten getrieben. Es geht immer schneller, viele kommen nicht mehr hinterher. Irgendwie hat auch das System. Man kann leicht den Überblick verlieren – und dabei vollziehen sich auch in unserem Gesundheitssystem Wandlungen, bei denen man entnervt den Kopf schüttelt, sich ärgert, deren Sinn und Effizienz man zu Recht nicht sieht, teils belächelt oder aber resigniert – und dieses Agieren der Politik scheinbar eher als Ausdruck von Konfusion oder Nicht-zu-Ende-Denken oder von Hilflosigkeit oder Unerfahrenheit erscheint. Aber das ist, so zumindest sehe ich das, nur ein Teil der Wahrheit.

Was wurde in der letzten Legislatur von Seiten der Politik real getan, um die ambulante Versorgung in der Niederlassung wirklich zu stärken? (Auch wenn das immer so gesagt wurde.) Was hat die Politik zur effizienteren Strukturierung der ambulanten Versorgung bezüglich der Versorgungsebenen Sinnvolles getan? Was hat die Politik getan, um den ungebremsten und teils sich bis zur Absurdität mutierenden Leistungsanspruch zu begrenzen? Wenig bis nichts. Was ist aus den vollmundigen Versprechungen zur Reformierung der Finanzierung geworden? Wurden die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen von unsinniger Bürokratie befreit? Mitnichten, im Gegenteil.

Eine völlig verkorkste IT-Lösung, für die sich die Verantwortlichen schämen sollten, belastet die Praxen und wird noch weitere Stilblüten treiben, nur leider ist das kein Kabarett, sondern eine absurde Tragödie in der Lebenswirklichkeit. Und wir alle in den Praxen hängen an dieser Fehlkonstruktion, ob wir es wollen oder nicht. Und nichts ändert sich daran! Die Politik traut sich mit einer beispiellosen Unverfrorenheit gerade jetzt, uns wider besseres Wissen einen Konnektorentausch aufzuzwingen, der unnötig ist – und auch unser Geld kostet, letztlich auch das der Versicherten. Der Bundesrechnungshof sollte sich darum kümmern!!! Der Chaos Computer Club e. V. hat kürzlich belegt, dass sehr wohl eine Update-Lösung möglich ist, und eben kein Austausch des Konnektors erforderlich! Ich bin kein IT-Freak und gehöre nicht zum Fan-Club des CCC. Aber mein ehrlicher Dank diesen Leuten, die sich nicht blenden lassen! Ich bin gespannt, welch fadenscheinige Argumente nun bemüht werden, um den Konnektorentausch dennoch umzusetzen, damit einige wenige viel Geld verdienen.

Es ließen sich noch ganz viele Dinge nennen, die so einzeln und eher unscheinbar daherkommen, die aber in ihrer Gesamtheit sehr wohl und auch so beabsichtigt wirken. In der Konsequenz schwächen sie fast alle unsere Struktur der guten ambulanten Versorgung in der Niederlassung, und das ist durchaus auch so gewollt, sicherlich nicht von allen politischen Akteuren – nicht alle begreifen, was gespielt wird, und nicht alle Politiker wollen das – aber von strategisch Denkenden im Hintergrund ist vieles von dem geplant, was scheinbar nur sinnlos läuft. Letztlich begünstigen die einzelnen Komponenten und Vektoren in der Resultante Großstrukturen in der Versorgung – und kapitalinteressengeleitete Investoren! Natürlich werden die Probleme in der Sicherstellung in unserem System so immer größer. Und das weiß die Politik. Aber sie greift eben nicht sinnvoll strukturierend ein. Das hat viele Ursachen, aber eine wesentliche ist das Verhalten der Politik, die entweder billigend in Kauf nimmt oder klammheimlich zufrieden genau diese sich daraus wohl dann ergebende Systemänderung will und natürlich wird das – euphemistisch – zukunftsfähig formuliert und nachhaltig verpackt. Dann kann man die KVen so richtig vorführen, denn es ist ja offensichtlich, dass sie die Probleme nicht lösen (können). Und das ist so Stück für Stück der Einstieg in den Systemumbau. Nur leider – aber das wird ausgeblendet oder im Kauf genommen – wird es mit dem geplanten Systemumbau für den Patienten nicht besser: Es werden Kapitalgesellschaften daran verdienen – und die Solidargemeinschaft wird die Zeche zahlen! Und die Politik verschiebt die Verantwortung. Andere sollen es richten.

Wie wenig die ambulante Versorgung in der Niederlassung geschätzt und offensichtlich auch nicht als schützenswert und systemrelevant erachtet wird, zeigt sich unter anderem darin, dass wir in keiner Weise finanzielle Unterstützung wenigstens bezüglich der Energiepreise etc. bekommen, weder von Seiten der Kostenträger noch durch die Politik. Viele Gruppen werden unterstützt, Gott sei Dank! Die Krankenhäuser werden Unterstützung erfahren, und das ist auch richtig so und notwendig! Aber die ambulante Versorgungsebene? Fehlanzeige! Für die Niedergelassenen, die sehr wohl auch systemstabilisierend waren und sind, gibt es nur warme Worte. Diese aber taugen nicht zum Heizen oder zum Betreiben von Großgeräten.

Ein anderes Beispiel – eher, aber nicht nur, ideologischer Natur: Lauterbachs Gesundheitskioske sind keine alberne, spinnerte Idee, die man nur milde belächeln kann. Sie kommen unter der Flagge einer extrem wohnortnahen Versorgung, die so flächendeckend aber weder realisierbar noch notwendig ist. Aber im Kern geht es nicht um eine undurchdachte sinnlose doppelte Struktur, nein, es geht um intendierte, schleichend daherkommende Veränderungen der Versorgungsstruktur, weg von der ärztlich geprägten Versorgung hin zu einer anderen, politisch ideologisch (und auch aus ökonomischen Gründen) geprägten. Ulla Schmidts Saat gedeiht prächtig in der zunehmenden Kommerzialisierung und kapitalinteressengeprägten ambulanten Versorgung. Herr Lauterbach steht Frau Schmidt strategisch in nichts nach, bei allen seinen Schrullen und anscheinender Konfusität ist er aber politisch erfahren, intelligent und klug genug, seine ideologischen Absichten gut zu verbergen und sie in unser System einzuschleusen, ohne dass wir es merken (sollen).

Geschichte wiederholt sich nicht, oder doch? Mir fällt da doch so einiges ein. Auch die griechische Mythologie ist eben überwiegend eine von Tragödien. Wann und was lernen wir daraus? Mit klarem Blick hinschauen, uns nicht vom Schein blenden lassen – und uns nicht mit ablenkendem Kleinkram zu sehr befassen, sondern die Dinge im Kern beim Namen nennen und handeln! Was wird die nächste Legislatur bringen?

Ihr Stefan Windau