"Wir sollten unser Licht nicht unter den Scheffel stellen"

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die Legislaturperiode geht zu Ende – und es stehen die Wahlen zur Vertreterversammlung an. Ein Anlass für mich, dieses Thema aufzugreifen.

Meist gehen mir Editorials recht flüssig von der Hand, heute ist dies anders. Das hohe Lied auf die Selbstverwaltung kann und will ich nicht singen. Das würde wohl auch kaum jemand ertragen, weder im tatsächlichen noch im übertragenen Sinne … Und es wäre auch unglaubwürdig.

Was nehmen wir uns jedes Mal vor, vor jeder neuen Legislaturperiode: was wir erreichen wollen, wofür wir eintreten etc. – viele gute Absichten und manche kluge Ideen. Mancher wird dazu sagen: „Gut gemeint ja, aber gut gemacht?“ Andere sagen: „Ich kann das weder hören noch will ich es lesen.“ Vor einigen Monaten schrieb mir ein Kollege, dass er meine Editorials lese und sie nicht in der Rundablage landeten. Und das war tatsächlich anerkennend gemeint. Gleichzeitig aber frage er sich, ob ich das alles wirklich glaube, oder ob ich damit auf die nächsten Wahlen abziele. Letztlich steht doch hinter dieser Frage auch ein Zweifel an dem, was wir tun, und letztlich steht die Frage nach Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Der Kollege hatte den Mut, neben Anerkennung eben auch diese Zweifel anzusprechen. Und er steht damit sicherlich nicht allein, sondern für viele Kolleginnen und Kollegen, die Ähnliches bewegt, die manches im Kontext mit dem Thema KV und auch Selbstverwaltung nur frustriert.

Ich möchte die Frage des Kollegen hier beantworten. Ja, ich glaube, was ich da schreibe. Und ich möchte auch die Kolleginnen und Kollegen erreichen. Und jeder, der berufspolitisch Verantwortung trägt, hat auch irgendwann Wahlen im Blick. Zur Wahrheit gehört auch, dass ich manchmal vom Glauben abfalle. Das können zermürbende bürokratische, in unserem System auch selbst produzierte, Hürden und Verästelungen sein, immer wieder neue, komplexere statt einfachere, Regelungen. Oder aber es ist das Immer-wieder-erleben, wie doch unser Handeln als KV abhängig ist von vielen rechtlichen und politischen Rahmenbedingungen, die es oft unmöglich machen, das zu tun, was wir für die bessere Lösung erachten, als das, was uns die politischen Entscheider dann aufzwingen. Unser Gestaltungsspielraum ist viel begrenzter, als wir selbst es oft wahrhaben wollen. Und am meisten frustriert es mich, wenn wir als KV Dinge umsetzen müssen, die kontraproduktiv und teils sinnentleert sind. Und die Kolleginnen und Kollegen lasten es der KV an, in diesen Fällen aber zu Unrecht.

Wenn Sie bis hierher tatsächlich mitgelesen haben, dann kommt Ihnen vermutlich der Gedanke, dass ich ja ein Plädoyer gegen KV und Selbstverwaltung halte. Nein, so ist es gerade nicht gemeint. Mir geht es aber um ein realistisches Bild, nicht um Schönfärberei. Ja, das Hinterfragen ist berechtigt. Und viele Fragen für unser tägliches Arbeiten und für die Zukunft sind nicht gut gelöst, siehe Bürokratie, verhunzte und unpraktikable IT-Lösungen, die Karikatur sinnvoller Digitalisierung, die ungelöste Frage der Sicherstellung auf dem Lande, der Nachfolgebesetzung von Praxen etc. Da ist die KV aber oft auch nur Ausführende, Entscheider sind Andere.

Aber, sind andere systemische Alternativen wirklich die besseren? Alles in die Hände der Berufsverbände legen? Jeder macht seins? Aus meiner Sicht wäre das langfristig ein Pyrrhussieg. Wir brauchen die Berufsverbände, aber wir brauchen auch das gemeinsame Dach, auch wenn es darunter knirscht. Ohne diese Klammer würden wir insgesamt schlechter fahren. Das zumindest sehe ich so. Vieles Wirken der KV wird kaum bemerkt, da als selbstverständlich und gegeben angesehen, aber kaum als Positives wahrgenommen und geschätzt. Missen möchte dieses Grundrauschen aber kaum jemand. Wie wäre es denn, wenn diese Basics, auf die wir uns verlassen können, wegfielen? Das würden wir vermutlich erst dann merken, wenn wir es schmerzlich vermissen. Ist ein staatliches Gesundheitswesen die bessere Alternative? Es mag staatliche Gesundheitssysteme geben, die auf den ersten Blick überzeugen. Bei näherem Hinsehen ist auch da vieles kein Gold, was glänzt. Aber, gerade im Kontext des politischen Agierens der gesundheitspolitischen „Eliten“ unseres Landes in den letzten Jahren fällt es mir schwer zu glauben, dass in unserem Land ein komplett staatlich gelenktes Gesundheitswesen die bessere Alternative wäre zu dem, was jetzt besteht.

Das Thema Corona ist auch hier unvermeidlich. Wir hoffen, dass unser gesamter Umgang mit der Problematik auch retrospektiv als angemessen wahrgenommen wird. Natürlich wird es einzelne Aspekte geben, die man anders und besser hätte machen können. Wir nehmen uns den Mut heraus zu sagen, dass wir im Vergleich zu bundespolitischen Entscheidungen sicher weniger daneben lagen. Ob z. B. unsere Informationspolitik immer angemessen, zu wenig oder zu viel war, liegt im Auge des Betrachters.

Wir sollten unser Licht aber nicht unter den Scheffel stellen. Herausstellen möchte ich hier unseren Corona-Not HVM. Zwar hat der Staat rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt, aber den Rahmen hätte man sehr unterschiedlich nutzen können. Wir haben als KV Sachsen auch durch das Wirken der Vertreterversammlung, der Selbstverwaltung, zusammen mit dem Vorstand, eine ziemlich unbürokratische Regelung für Ausgleichszahlungen auf den Weg gebracht, die ohne ein mühseliges Antragsverfahren ziemlich schnell geholfen hat. Ja, es gab auch Mitnahmeeffekte und einige vergleichsweise aber kleinere Probleme. Im Großen und Ganzen hat das in der KV Sachsen sehr gut geklappt.

Wir niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten sollten das, was wir haben – unser KV-System und unsere Selbstverwaltung, bei allen Schwächen – nutzen, eben und gerade auch seine Stärken. Bitte beteiligen Sie sich an den KV-Wahlen und stärken Sie unsere Selbstverwaltung.

 

Ihr Stefan Windau