Dr. Windau zu Vorschlägen der Regierungskommission zur „Grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung“ sowie zur „Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland“.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

nun sind sie da, die Vorschläge der Regierungskommission zur „Grundlegenden Reform der Krankenhausvergütung“ sowie zur „Reform der Notfall- und Akutversorgung in Deutschland“.

Positiv zu konstatieren ist, dass beide Regelungskreise gemeinsam betrachtet werden, weil sie ja auch zusammengehören.

Die Kommissionsmitglieder sind fast alle gut bekannt als Experten auf ihrem Gebiet, aber nur wenige sind in die reale Patientenversorgung eingebunden, was sich – nach meiner Lesart – so auch in den Entwürfen widerspiegelt. Die mangelnden Erfahrungen mit den Mühen der Ebene bringen den Vorteil, relativ unbefangen etwas Neues denken zu können, implizit aber entsteht auch der Nachteil, die Realitäten nicht tief genug zu kennen und Konzepte zu entwickeln, die in der Theorie zwar einigermaßen überzeugend, aber für die Praxis schlicht so nicht wirklich tauglich sind.

Es kann hier nur Weniges ansatzweise aufgegriffen werden.

Die Neuplanung der Krankenhausvergütung macht grundsätzlich Sinn – ein Schritt weg von den Fehlentwicklungen durch die DRGs. Damit verbunden sind – und darum geht es im Kern – die Änderungen der Krankenhausstrukturen. Auch das macht Sinn. Nur, die Ausgestaltung – neben den Versorgungsstufen mit dem System von Leistungsgruppen und sogenannten passgenauen Versorgungsleveln – ist derart kompliziert und überbordend, dass das so nicht sinnvoll und unpraktikabel erscheint. Hier nun geht der Auftrag zurück an die Fachpolitiker, aus dem Entwurf der Theoretiker ein praktisch umsetzbares und sinnvolles Gesetz zu machen. Und dabei ist nicht zu vergessen, dass es die Aufgabe der Politik ist, der Bevölkerung zu erklären, dass am Ende weniger Krankenhäuser übrig bleiben werden als bisher.

Ein großes Problem sehen wir mit der neu geplanten Basisstruktur „Level Ia“. Hier ist zu befürchten, dass dies in einigen Fällen eine Alibifunktion hat, um nicht sofort entscheiden zu müssen, einzelne Klinikstandorte ersatzlos schließen zu müssen.

Nach derzeitigem Stand sollen die Länder nun in die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes stärker einbezogen werden. Ein großer Mangel des Regierungskommissionsentwurfes ist es, dass die strukturellen Unterschiede der Versorgungssituation zu wenig beachtet werden. Ich meine hier nicht lokale/regionale Gegebenheiten – das kann ein Gesetz so nicht leisten – sondern eben die grundsätzlichen Fragen der Sicherstellung im ländlichen Raum, insbesondere in Ostdeutschland. Ein entsprechendes Verlangen haben die Ministerpräsidenten der ostdeutschen Länder gerade in ihrer Sonderkonferenz am 31. März 2023 auch formuliert.

Der Entwurf zur Reform der Notfallversorgung analysiert die Situation in weiten Teilen zutreffend, ist aber in den Lösungsansätzen in weiten Teilen realitätsfern. Natürlich macht eine stärkere Kooperation von 116 117 und 112 Sinn, natürlich muss die Organisation der Versorgung verbessert werden, da gibt es teils gute Ansätze. Aber es ist doch ein Irrglaube zu meinen, die Bevölkerung ließe sich (zumindest ohne ökonomischen Druck) überzeugen, vor einer Inanspruchnahme von Notfallstrukturen sich erst einmal telefonisch beraten zu lassen. Ein Teil wird anrufen, aber der weitaus größere Teil wird weiter primär in die Notaufnahmen und Notfallpraxen gehen. Macht es denn nicht mehr Sinn, ein besser funktionierendes Miteinander von Bereitschaftspraxen und Notaufnahmen zu stärken? Dann kann vor Ort entschieden werden, wer wo versorgt wird. Wer wird einen Patienten, der in der Bereitschaftspraxis oder in der ZNA steht, zurückweisen, weil er sich vorher nicht hat telefonisch beraten lassen? Wer wird das sanktionieren? Keiner, die Politiker zuallerletzt. Mangelnde Praxiserfahrung und eine gewisse Weltfremdheit lassen grüßen. Hat jemand aus der Kommission eigentlich mal daran gedacht, welchen personellen Aufwand die erweiterten telefonischen und anderen angedachten Strukturen eigentlich mit sich bringen? Wer soll das alles besetzen, ärztlicherseits und auch MFA-seitig? Wir alle kennen den Mangel an Fachkräften etc., und hier wird ins Blaue eine aufgeblähte Struktur angedacht, die weder personell realisierbar ist noch zu durchgreifenden Verbesserungen führen wird. Und ganz nebenbei – Wer soll das bezahlen? Macht es nicht mehr Sinn, die gegebenen Patientenströme dort, wo sie ankommen, zu strukturieren und adäquat zu versorgen, anstatt einen Überbau zu fabrizieren, der teuer und kaum zu stemmen sein dürfte? Natürlich ist es richtig, die Beratungskompetenz von Leitstellen zu stärken. Aber wer glaubt, damit lasse sich das Patientenverhalten von Grund auf ändern, der ist wohl auf dem Holzweg.

Ich möchte nicht alles zerreden – kritisieren ist immer leicht, etwas Gutes hinzubekommen ist dagegen schwieriger. Nur eines kann ich mir nicht verkneifen. Die Probleme der Notfallversorgung sind auch Ausdruck der uneingeschränkten Inanspruchnahme von Leistungen. Dieses Übel muss man an der Wurzel packen, nur dazu fehlt der Mut. Und eines sollte auch bedacht werden: Diese Gesetzesvorhaben müssen im Kontext mit den gerade eben verabschiedeten gesehen werden, die schon in naher Zukunft ambulanten und stationären Sektor personell zusätzlich belasten werden. Irgendwann, und das dauert nicht mehr lange, haben wir viele schöne Gesetze, aber immer weniger Menschen, die eine gute Versorgung auch umsetzen können. Die außerdem dafür fehlenden finanziellen Mittel treten dabei in den Hintergrund. Das Ganze bitte auch als Ganzes denken!

Ich wünsche uns, dass die beiden Entwürfe in die Form praxistauglicher Regelungen münden. Augenmaß und Realismus – statt schöner Theorien mit wenig Gefühl für das Machbare.

Ihr Stefan Windau