"Auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren – im fehlergeneigten Umfeld mit Sorgfalt und guter Kommunikation den ärztlichen Alltag meistern und immer wieder aus Fehlern lernen."

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

im vergangenen Jahr habe ich mehrfach mit meinem Vorgänger im Amt, dem geschätzten Kollegen Dr. Johannes-Georg Schulz zusammengesessen – sollte ich nun tatsächlich für das Amt der ärztlichen Leiterin der Bezirksgeschäftsstelle Dresden der KV Sachsen kandidieren? Was wären meine Aufgaben, welche Ziele verbinde ich damit? Könnte ich überhaupt etwas bewegen?

Nun bin ich seit drei Monaten im Amt, es ist ein Stück Alltag eingekehrt. Anfangs bekam ich von Herrn Dr. Schulz ein gelbes Papier mit der Aufgabensammlung – dazu gehört zweimal jährlich ein Beitrag für die KVS-Mitteilungen. Ich hatte also lange genug Zeit, mir dazu Gedanken zu machen. Einige ältere Beiträge konnte ich nachlesen – über 15 Jahrgänge mit mehr als 150 Editorials und Standpunkten sind ohne größere Recherche auffindbar – welch ein Fundus! Irgendwie ist alles schon einmal dagewesen: Im Frühling 2018 titelte Kollege Stelzner „Brauchen wir mehr Optimismus?“ – definitiv, den brauchen wir noch immer und immer mehr, so scheint es mir. Es ging um Notdienst und Versorgungsstrukturen. Im Frühjahr 2019 versuchte Herr Dr. Schulz „Der Quadratur des Kreises möglichst nahe (zu) kommen“. Bereitschaftsdienstreform war das Thema. An der Quadratur des Kreises arbeiten wir täglich mit unverminderter Energie. Im Frühjahr 2020 titelte Frau Dr. Richter-Huhn „Anstand in friedlichen Zeiten“. Selbst das ist nun schon historisch zu nennen, die friedlichen Zeiten scheinen wirklich vorüber zu sein. Doch mit dem Anstand, das ist trotzdem nicht schlecht. Passt irgendwie immer. Im Frühling 2021 zog Kollege Dr. Rohrwacher „Corona – die zweite Bilanz“, wir wollten gelernt haben, doch da war es noch lange nicht vorbei mit der Pandemie und den Maßnahmen. „Gewissheiten und ihr Verlust“ waren das Thema des vergangenen Frühlings – sicher ist, dass nichts sicher ist. Ein ganz großes Thema! Überhaupt, die Kolleginnen und Kollegen haben die großen Themen angefasst, immer wieder und immer wieder neu. Und ich glaube, das ist wichtig, nur so können wir etwas bewegen – wenn wir uns immer wieder einlassen, auf die großen Themen ebenso wie auf die kleinen, die uns täglich begegnen.

In der Sächsischen Zeitung gibt es eine Rubrik „Aus dem Gerichtssaal“. Dort las ich im März einen Artikel, der mich sehr bewegt hat: „Patientin stirbt nach falscher Dosierung eines Medikaments“. Vielleicht haben Sie den Artikel auch gelesen. Eine erfahrene Hausärztin hatte bei der Erstellung des Medikationsplanes für eine Patientin fehlerhaft eine tägliche Gabe von MTX auf den Medikationsplan gedruckt. Fehler sind menschlich. Wir alle wissen, was passieren kann und auch schon oft genug passiert ist: In der Kurzzeitpflege wurde MTX täglich verabreicht, was für die betroffene Patientin tödlich endete. Die Kollegin wurde wegen fahrlässiger Tötung strafrechtlich verurteilt. Warum mich das so berührt hat?

Vor nunmehr über sechs Jahren ist der gleiche Fehler unter meiner Verantwortung in meiner Praxis passiert, einem jungen Kollegen in Weiterbildung, dem das Thema Fehler machen und Umgang mit eigenen Fehlern noch wenig vertraut war. Damals war der Bundesweite Medikationsplan (BMP) gerade neu eingeführt worden, es waren endlos viele Pläne umzubauen, ein sehr fehlergeneigtes Unterfangen. Wir haben die Medikation in dieser Phase besonders intensiv mit unseren Patienten besprochen, in der Hoffnung, dass alles gut gelingt und keine schwerwiegenden Fehler passieren. Die Patienten haben da wirklich gut mitgearbeitet. Unsere MTX-Patientin kam in ein großes Krankenhaus in die Chirurgie, den fehlerhaften BMP hatte sie, neben allen anderen Unterlagen und dem „richtigen“ Plan, dabei. Und so bekam auch sie in den Folgetagen die viel zu hohe Dosis verabreicht, der kritische ärztliche Blick über die Medikamente fehlte. Die Patientin erlitt schwerwiegende Komplikationen, konnte aber glücklicherweise im Universitätsklinikum Dresden erfolgreich behandelt werden und wurde nach Hause entlassen. Ein Ermittlungsverfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung wurde damals nicht geführt. Doch der Rechtsstreit bezüglich der berechtigten Haftungsansprüche der Patientin aus fehlerhafter Behandlung zog sich über mehrere Jahre hin. Ich traf die Patientin zuletzt im vergangenen Jahr im Gerichtssaal und konnte mit ihr sprechen. Als Streitverkündete war ich auf Seiten der klagenden Patientin dem Rechtsstreit beigetreten, als Streithelferin – ja so heißt das wirklich. Zwischen der betagten Patientin und der Klinik war vor Gericht letztlich ein Vergleich geschlossen worden. Wir haben es damals in das Journal des Klinikkonzerns geschafft als „Fehler des Monats“ – der fehlerhafte BMP der Hausärztin als Ursache des komplikativen Verlaufs im Krankenhaus. Ja – auch so kann Fehlermanagement aussehen.

Warum erzähle ich das?

Zwei Aspekte sind mir wichtig: Täglich erstellen wir Medikationspläne, mit großer Sorgfalt und großem Respekt. Täglich sehen wir Medikationspläne von Kollegen, überwiegend sehr sorgfältig erstellt, oft aber auch weniger – fehlerfrei oder auch fehlerbehaftet. Fehler passieren, Fehler sind menschlich. Und täglich besprechen wir Medikationspläne und Einnahmeanweisungen mit unseren Patienten, um die Therapie so sicher wie möglich zu gestalten. Das könnte so einfach sein: Mit dem Bundesweiten Medikationsplan haben wir ein bewährtes Instrument, das unsere Arbeit sicherer machen könnte – wenn es von allen Beteiligten mit Sorgfalt geführt wird! Barcode scannen – Plan bearbeiten. Inzwischen funktioniert das nahezu reibungslos. Der Austausch zwischen Hausärzten, Gebietsfachärzten und Kliniken könnte sicher und einfach gelingen – wenn alle mitmachen. Dazu lade ich herzlich ein, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Und der zweite Aspekt, warum ich das erzähle? Ich habe, wie Sie alle ebenfalls, eine Haftpflichtversicherung, seit ich ärztlich tätig bin. Das erscheint selbstverständlich und ist schon immer eine berufsrechtliche Pflicht. Und ich schätze die Versicherung sehr, dort arbeiten fachlich hochkompetente Menschen, die mich im Praxisalltag wirklich unterstützen und entlasten. Insbesondere dann, wenn Fehler passiert sind, aber auch, um unberechtigte Ansprüche abzuwehren. Ich fühle mich dort gut betreut und weiß, dass ich qualifizierte und empathische Ansprechpartner im Ernstfall habe.

Nun hat der Bundesgesetzgeber entschieden, die Zulassungsausschüsse mit der Prüfung der Pflicht zur Unterhaltung einer Berufshaftpflichtversicherung gemäß § 95e SGB V zu beauftragen. Aus rechtlicher Sicht ist das Ganze höchst umstritten, Juristen arbeiten sich gut begründet daran ab – für Zulassungsausschuss und Verwaltung ist es ein großer Posten Extraarbeit. Aber ganz pragmatisch betrachtet: Da wir alle eine entsprechende Haftpflichtversicherung haben, können wir auch ganz einfach, vielleicht sogar unaufgefordert und ohne die Mahnung abzuwarten, den Nachweis einreichen. Die Versicherer stellen den Nachweis bereit, das Thema ist damit vom Tisch. Die Diskussion darum lohnt sich zumindest für uns Ärzte nicht.

Und wir können uns auf unsere eigentliche Arbeit konzentrieren – im fehlergeneigten Umfeld mit Sorgfalt und guter Kommunikation den ärztlichen Alltag meistern und immer wieder aus Fehlern lernen.

In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich, bewahren auch Sie sich die Freude bei der ärztlichen Arbeit und einen kritischen Blick auf das eigene Tun!

Ihre Christine Kosch