Niederlassung eines ehemaligen Weiterbildungsassistenten im Einzugsbereich der Praxis des weiterbildenden Facharztes

Das in der Überschrift genannte Thema spielt auch in der Rechtsprechung eine Rolle. Im Juniheft der juristischen Fachzeitschrift Gesundheitsrecht wurde eine Entscheidung des Arbeitsgerichtes Hameln vom 21. Januar 2021 vorgestellt (Aktenzeichen 1 Ga5 / 20, GesR2021, 394ff).

Was war geschehen?

In einem Eilverfahren klagte ein niedergelassener Arzt gegen seine ehemalige ärztliche Weiterbildungsassistentin, die drei Monate vom 1. Januar 2020 bis zum 31. März 2020 dort beschäftigt war. Parallel wurden Gespräche zur Übernahme der Praxis bzw. zur Bildung einer Praxisgemeinschaft geführt. Die Weiterbildungsassistentin arbeitete auch noch im April 2020 in reduzierter Form beim klagenden niedergelassenen Arzt. Am 15. April 2020 erhielt sie die Anerkennung als Fachärztin.

Im weiteren Verlauf zerstritten sich die Parteien. Offenbar kündigte der niedergelassene Arzt seiner Kollegin, die sich dagegen beim Arbeitsgericht mit einer Kündigungsschutzklage zur Wehr setzte. Weitere Gespräche zur Praxisübernahme scheiterten und im Juni 2020 erhob der niedergelassene Arzt beim Landgericht Klage gegen die ehemalige Weiterbildungsassistentin auf Unterlassung des Betriebs einer Praxis im Umkreis von 2 Kilometern des Praxisstandorts. Überlagert waren die Streitigkeiten auch dadurch, dass dem niedergelassenen Arzt die Mieträume vom Vermieter gekündigt wurden. Der niedergelassene Arzt zog dann verspätet erst nach Räumungsklage aus und hat sich 100 Meter entfernt von seiner ehemaligen Praxis erneut niedergelassen. Erstaunlicherweise wurde die ehemalige Weiterbildungsassistentin offenbar Neumieterin der Räume ihres ehemaligen Arbeitgebers. Der verspätete Auszug führte zu einer Schadenersatzklage der jungen Fachärztin. Der niedergelassene Arzt beantragte seinerseits am 4. September 2020 beim Landgericht den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die ehemalige Weiterbildungsassistentin mit dem Begehr, dass diese den Praxisbetrieb bis zum 31. März 2021 zu unterlassen habe. Der Rechtsstreit um die arbeitsrechtliche Kündigung endete im September 2020 mit einem Vergleich vor dem Arbeitsgericht, wonach das Arbeitsverhältnis der ehemaligen Weiterbildungsassistentin am 30. April 2020 endete und sie noch Vergütung für den Monat April 2020 erhalten soll. Damit sollten alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis abgegolten sein. Das Arbeitsgericht musste sich gleichwohl später auch noch mit dem hier zu erörternden Eilverfahren befassen, obwohl dessen Zuständigkeit strittig war. Die Parteien hatten sich so zerstritten, dass das Landgericht, das Oberlandesgericht und auch das Arbeitsgericht beschäftigt wurden. Hier soll es im Weiteren um das Eilverfahren beim Arbeitsgericht gehen:

Der niedergelassene Arzt stützte sich im Eilverfahren zur befristeten Unterlassung des Betriebs der Praxis der früheren Weiterbildungsassistentin auf eine Regelung der Berufsordnung von Niedersachsen, und zwar § 29 Abs. 2 Satz 2 BO-ÄrztekammerNiedersachsen. Eine wörtlich identische Regelung enthält auch die Berufsordnung der Sächsischen Landesärztekammer. Diese lautet:

„Es ist insbesondere berufswidrig, wenn ein Arzt sich innerhalb eines Zeitraums von einem Jahr ohne Zustimmung des Praxisinhabers im Einzugsbereich derjenigen Praxis niederlässt, in welcher er in der Aus- oder Weiterbildung mindestens drei Monate tätig war.“

Das Arbeitsgericht hielt die o. g. Regelung für unwirksam und damit nicht anwendbar. Die Richter argumentierten, dass der Begriff „Einzugsbereich“ zu unbestimmt sei. Die Vorschrift stellt nach Auffassung des Gerichts als befristetes Wettbewerbsverbot einen Eingriff in die Berufsfreiheit des weitergebildeten Arztes dar (Art. 12 Grundgesetz). Arbeitsrechtlich wäre eine derartige Klausel ohne Karenzentschädigung nach §§ 74 ff. HGB (Handelsgesetzbuch) unwirksam. Das Gericht verneinte aber auch, dass ein Verfügungsgrund vorliegt. Damit ist die Eilbedürftigkeit gemeint, die Voraussetzung dafür ist, dass in einem solchen Eilverfahren entschieden werden muss. Der niedergelassene Arzt hätte bereits mit der Hauptsacheklage ein Eilverfahren im Juni 2020 einreichen können und müssen. Das tat er nicht. Stattdessen wartete er bis September 2020. Das sei zu spät. Damit habe er das Entstehen von Schäden (Abwerben von Patienten) in Kauf genommen.

Für den Praxisinhaber ist die Entscheidung sicherlich bitter. Das gesamte Thema ist allerdings nicht neu und die Entscheidung überrascht nicht, eher jedoch ihre Begründung.

Ratzel hatte bereits in der Kommentierung zur (Muster)Berufsordnung im Jahr 2017 darauf hingewiesen, dass ein Konkurrenzverbot eine wirksame zivilrechtliche vertragliche Vereinbarung voraussetzt (Kommentar 7. Auflage, Springer S. 24 Rdnr. 8). Das berufsrechtliche Konkurrenzverbot alleine sei ohne entsprechende vertragliche Absprachen zivilrechtlich nicht durchsetzbar. Das ist sicherlich richtig und daran fehlte es hier. Im Arbeitsvertrag gab es offenkundig keinerlei Regelungen für den Fall, dass die ehemalige Weiterbildungsassistentin dem niedergelassenen Arzt Wettbewerb macht (Wettbewerbsklausel).

Über die Urteilsbegründung des Arbeitsgerichtes kann man durchaus geteilter Meinung sein. Das gilt insbesondere für die vom Arbeitsgericht angenommene Unwirksamkeit der o. g. Regelung in der Berufsordnung wegen eines Verstoßes gegen Artikel 12 Grundgesetz (Berufsfreiheit). Der Bundesgerichtshof hatte in einer früheren Entscheidung eine Unvereinbarkeit der entsprechenden Vorgängerregelung in der Berufsordnung von Schleswig-Holstein mit Artikel 12 Grundgesetz angenommen (BGH, Urteil vom 13.06.1996, IZR 102 / 94), da die dem Urteil zugrunde liegende Karenzzeit über einem Jahr lag. Das ist in der o. g. aktuellen Regelung der Berufsordnung jedoch nicht der Fall. Der vom Arbeitsgericht gerügte unbestimmte Begriff „Einzugsbereich“ war für den BGH nicht das Problem.

Allerdings kommt man mit dem Verweis auf die o. g. BGH-Entscheidung zumindest in arbeitsrechtlicher Hinsicht auch nicht wirklich weiter, da zur Geltendmachung von Ansprüchen in diesem Bereich der alleinige Verweis auf die Berufsordnung nicht ausreicht. Anders mag das berufsrechtlich aussehen. Zur Durchsetzung arbeitsrechtlicher/zivilrechtlicher Ansprüche muss eine rechtswirksame Wettbewerbsklausel vorliegen, die in den Arbeitsvertrag gehört. Allerdings entsteht auch hier sofort ein weiteres Problem für den niedergelassenen Arzt, worauf das Arbeitsgericht in seiner Urteilsbegründung hingewiesen hatte. Es bedarf zur Rechtswirksamkeit der Wettbewerbsklausel im Arbeitsvertrag der Aufnahme einer entsprechenden Karenzentschädigung zugunsten des angestellten Weiterbildungsassistenten. Wird eine solche Karenzentschädigungsklausel nicht in die Wettbewerbsklausel im Arbeitsvertrag aufgenommen, dann ist die gesamte Wettbewerbsklausel unwirksam.

Sofern der niedergelassene Arzt auf der sicheren Seite sein will, dann muss er eine wirksame Wettbewerbsklausel in den Arbeitsvertrag aufnehmen, die auch die berechtigten Interessen des Weiterbildungsassistenten (z. B. Karenzentschädigung) berücksichtigt. Wünschenswert wäre es, wenn es gar nicht erst zur Einschaltung der Gerichte gekommen wäre, insbesondere nicht in dem Umfang wie hier.