Zuschrift vom 3. Mai 2023

In ihre Praxis kommt eine mittelalte sehr kranke Patientin (4,6 Mrd. Jahre), die aktuell steil ansteigendes Fieber aufweist (knapp 100 Jahre). Ihre Oberfläche ist seit kurzem (ca. 10.000 Jahre) von dem sich rasch ausbreitenden Exanthem „Menschheit“ befallen. Das Atmen fällt ihr immer schwerer. Ihr Wasserhaushalt spielt verrückt. Der Zustand ist kritisch.

Die Diagnose ist schnell gestellt: Ein Anteil des Systems Erde wächst tumorartig, expansiv und destruktiv und bedroht das Gesamtsystem existenziell. Dieser Anteil, welcher sich vom globalen Norden des Erdkörpers über die anderen Teile ausbreitet, metastasiert überall hin, zapft Energiereserven an und beutet wichtige Ressourcen bis zur Erschöpfung aus. Anamnestisch sind multiple Symptommanifestationen zu benennen: u. a. Waldsterben durch Kahlschlag und Brandrodung, Vergiftungen mit Kunststoffen, Wüstenbildung, schwere Unwetter mit Überschwemmungen, eine besorgniserregende Abnahme der Artenvielfalt und ein lebensgefährlich schnell ansteigender CO2-Spiegel. Die Progredienz der Erkrankung ist erschreckend. Sie befürchten ein rasches Multiorganversagen.

Wie gehen wir vor?

Wenn wir beginnen unser Gesundheitsverständnis durch eine öko-systemische Dimension zu erweitern und Klimaschutz als Gesundheitsschutz zu begreifen, weil unsere Lebensgrundlagen in evidenter Gefahr sind, dann sind wir als Ärztinnen und Ärzte herausgefordert, aber auch privilegiert, zu intervenieren.

Denn wenn wir im ärztlichen Setting eine Diagnose gestellt haben, versuchen wir alles in unserer Macht Stehende zu tun, um Patienten zu helfen. Selbst in schwierigsten Situationen setzen wir auf Chemotherapie, Operationen, Antibiotika oder Intensivtherapie, um eine Chance auf Heilung zu erreichen. Und erst wenn für beide Seiten klar ist, dass keine Besserung zu erreichen ist, gehen wir über zur Palliativtherapie.

Was können wir also tun?

Wir als Ärztinnen und Ärzte genießen in der Gesellschaft einen guten Ruf. Wir können auf unsere Patientinnen und Patienten wie auch auf politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger Einfluss nehmen. Uns wird (im Allgemeinen) vertraut. Wir können als Vorbilder fungieren.

Wir treffen unsere täglichen Entscheidungen in einem Sektor, der in Deutschland 5–7 % der gesamten CO2-Emissionen verursacht, mehr als der innerdeutsche Flugverkehr mit 2,5 %.
Wir haben das Wissen, um gute medizinische Entscheidungen zu treffen – z. B. unnötige Operationen zu vermeiden (eine 7-stündige OP mit 6 %iger high-flow Desfluran-Narkose entspricht einer Autofahrt vom Nordkap nach Südafrika); Pulverinhalatoren statt Dosieraerosole zu verwenden (ein Dosieraerosol entspricht der Autofahrt von Leipzig nach Hannover); überflüssige Medikamente abzusetzen oder erst gar nicht zu verschreiben. Es hilft hierbei, unseren Fokus auf unabhängige Fortbildung zu setzen, die frei von Interessen der Pharma- und Medizinprodukteindustrie ist.

Wir wissen, dass für uns und unsere Patient:innen jeder Weg mit dem Fahrrad/zu Fuß/mit ÖPNV besser ist als ins Auto zu steigen. Wir haben ein entbehrungsreiches Studium hinter uns gebracht – wieso bekommen wir es nicht hin, die Widerstände zu überwinden und innerstädtisch das Fahrrad zu nutzen? Und warum sich als Ärzt:in nicht für sicheren Radverkehr einsetzen? Die Effekte sind wirkstark: mehr Bewegung – weniger kardiovaskuläres Risiko, weniger Feinstaubbelastung – weniger Atemwegserkrankungen, weniger Lärmbelastung – weniger stressbedingte Erkrankungen, weniger Autos – weniger Unfalltote.

Wir wissen, dass pflanzenbasierte Ernährung Gesundheit und Klima schützt, Adipositas und Diabetes vermeidet, und (mit etwas Umgewöhnung) genauso gut schmeckt. Wir wissen, dass die Giftstoffe in der konventionellen, globalisierten Landwirtschaft (seien es Pestizide, Antibiotika oder Emissionen im Transport) die Gesundheit schädigen, Insekten töten und zu einer dramatischen Abnahme der Artenvielfalt führen. Wir brauchen diese klare Positionierung aus der Ärzt:innenschaft für ökologische, regionale und saisonale Lebensmittel.

Wir sind oft finanziell privilegiert. Wir nutzen große Kredite, wir haben überdurchschnittliche Einkommen und hohe Vermögen. Wollen wir damit Öl- und Kohleförderung, Rüstungsunternehmen, Kinderarbeit unterstützen – oder besser Banken, die sich ethisch-ökologische Kriterien für ihr Investment gesetzt haben? Wir haben eigene Ärzteversorgungen, deren Investments diese Kriterien nicht berücksichtigen – was hindert uns daran, diese Forderungen umzusetzen?
Sehen wir Ärztinnen und Ärzte unsere Erde als unheilbare Patientin – oder reagieren wir professionell auf die Bedrohung des Erdsystems durch unser ärztliches Handeln? Wir von Health for Future sehen ein großes Potential in ärztlichem Engagement, denn Klimaschutz ist Gesundheitsschutz.

Allerdings handelt es sich um einen Notfall. Wir haben (erdgeschichtlich) nur noch wenige Millisekunden und müssen schnell, umfassend und komplex handeln. Die wissenschaftliche Evidenz ist eindeutig. Wir haben den Einfluss, die Entscheidungsmacht, die Kompetenz und das Geld, um unsere Erde für uns und unsere Nachkommen so gut zu behandeln, dass sie sich wieder regenerieren kann.

Lassen Sie uns jetzt aktiv werden und einen deutlichen Impuls aus der Ärzt:innenschaft setzen.