Interview mit Dr. Heckemann bei MDR Aktuell am 30. April 2023

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

aus unvorhersehbaren Gründen war es leider nicht möglich, den eigentlich für dieses Heft vorgesehenen „Standpunkt“-Artikel zu erstellen.

Insofern möchten wir aus der Not eine Tugend machen und Editorial und Standpunkt in einem Text vereinen. Natürlich ist jedes Editorial ein Standpunkt. Da aber erst vor wenigen Tagen der MDR bezüglich eines Interview-Wunsches zum Thema Krankenhaus an uns herangetreten war, bietet es sich an, dieses Interview hier in vollem Wortlaut abzudrucken. Das Lesen fällt sicher leichter, wenn Sie sich das Interview parallel dazu anhören. Zum problemlosen Auffinden in der Mediathek können Sie den abgebildeten QR-Code verwenden. In der Hoffnung, dass Sie dieses ungewöhnliche Vorgehen nachvollziehen können, verbleibe ich
mit den besten Grüßen

Ihr Klaus Heckemann

Kranke Krankenhäuser

Sven Kochale
MDR aktuell 30. April 2023, Interview der Woche

Das ganze Interview hier zum Nachhören:

https://www.ardaudiothek.de/episode/das-interview-von-mdr-aktuell/der-deutsche-patient-das-krankenhaus-system/mdr-aktuell/12634897/

Wenn die Kliniken in Deutschland ein Patient wären, sie würden sofort in die Notaufnahme gebracht und anschließend auf die Intensivstation – so ernst ist die wirtschaftliche Lage.

Studien zufolge schreibt inzwischen mehr als die Hälfte aller Kliniken rote Zahlen. Und so manches Krankenhaus könnte ganz von der Landkarte verschwinden, so wie die Paracelsus-Klinik im sächsischen Reichenbach z. B., die unlängst Insolvenz anmelden musste. Deshalb arbeitet der Bundesgesundheitsminister jetzt an einer großen Reform und will die Kliniken effizienter machen. Über unrentable Systeme und bessere Patientenversorgung reden wir mit dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, Dr. Klaus Heckemann.

Ich grüße Sie!

Guten Tag, Herr Kochale!

Wie stellt sich denn die Lage aus Ihrer Sicht in Reichenbach nach der Insolvenz aktuell dar?

Dort hat es natürlich keinen strukturierten Abbau gegeben, sondern es ist eben durch die Insolvenz dann ein etwas chaotisches Verfahren entstanden und das ist natürlich gar nicht gut und hat auch natürlich noch gar nichts damit zu tun, was man an, zum größten Teil sinnvoller, Umgestaltung im deutschen Krankenhauswesen erreichen möchte.

Wir reden gleich so ein bisschen darüber. Wenn Sie sagen, in Reichenbach ist das ziemlich chaotisch abgelaufen, was genau meinen Sie damit?

Nun eine Insolvenz ist natürlich im Allgemeinen nie etwas, was man plant und auch das, was danach erfolgt, kann dann nicht mit ausreichendem zeitlichem Vorlauf geplant werden. Und unser Problem ist, welchen Einfluss das auf die ambulante Versorgung hat, weil natürlich das Krankenhaus auch noch ein medizinisches Versorgungszentrum hat. Dass die stationäre Versorgung in Reichenbach nicht mehr erfolgen wird in Zukunft, war seit mindestens einem halben Jahr klar und auch am Ende, muss ich sagen, auch vertretbar. Mögen die Bürger der Stadt Reichenbach anders sehen, ist normal, wenn man früher ein Krankenhaus hatte vor Ort und hat es nicht mehr – dann ist das bedauerlich. Aber betrachtet auf die Gesamtstruktur muss ich einfach sagen, wir haben viel größere Probleme an anderer Stelle. Und wir haben Kliniken, wo wir uns wirklich intensiv darum bemühen müssen, dass die erhalten bleiben.

An welche Kliniken denken Sie da zum Beispiel? Was ist da anders als in Reichenbach?

Ich denke mal ganz aktuell und nicht so ganz weit entfernt, also im gleichen Regierungsbezirk – an Olbernhau. Wenn man überlegt, für die Reichenbacher sind vier Kliniken, Allgemeinkrankenhäuser, innerhalb von 20 Minuten erreichbar – für die Bewohner von Olbernhau ist die nächste Klinik 38 Minuten entfernt. Das ist ein gewaltiger Unterschied und Olbernhau muss erhalten bleiben. Und wir hoffen, dass diese Umstrukturierungsvorstellungen, die die Bundesregierung hat, dass die bewirken, dass Olbernhau erhalten bleiben kann. Ein ähnliches Problem haben wir in Weißwasser. Reichenbach ist nicht die Klinik, die man primär mit allen Mitteln erhalten musste. So leid mir das tut für die Bevölkerung dort.

Man denkt natürlich in Reichenbach daran, ja was ist jetzt mit der medizinischen Versorgung? Was könnte sich denn jetzt daraus entwickeln, möglicherweise auch so ein Modellprojekt? Die Rede ist von einem Gesundheitszentrum. Das ist möglicherweise etwas Abgespecktes, aber doch immer noch etwas Vorhandenes.

Ja, leider ist es auch dafür – bin ich überzeugt – zu spät. Auch das hätte man strukturiert eher angehen müssen. Und ja, da hat eben auch der Paracelsus-Konzern kein Interesse daran gehabt. Man verlegt sämtliche Arztsitze, die man in Reichenbach hatte, an andere Orte. Wir können das als Kassenärztliche Vereinigung auch nicht verhindern und die Versorgung sowohl ambulant und als auch stationär wird enden.

Das ist eine privatwirtschaftlich betriebene Klinik gewesen dort in Reichenbach. Ist das das eigentliche Problem, dass im Gesundheitssektor sehr viel aus der staatlichen Fürsorge herausgenommen worden ist?

Es ist vielleicht nicht das eigentliche Problem; aber ein wichtiges Problem. Und auf der anderen Seite ist es natürlich so, man wird keinen Klinikbetreiber – auch keinen kommunalen – auf Dauer bewegen können, eine Struktur weiter zu führen, die defizitär ist, weil einfach nicht ausreichend Patienten in dem Einzugsbereich vorhanden sind. Muss man sagen, wir wollen dort ein Krankenhaus und wir nehmen es in Kauf, dass dieses Krankenhaus unter der momentanen Finanzierung eben nicht ausreichend finanziert werden kann. Aber die Konsequenz darf nicht sein, da wird es geschlossen – in Reichenbach vertretbar, sondern die Konsequenz muss sein, es wird finanziell unterstützt, z. B. in Olbernhau erforderlich.

Wenn Sie jetzt mal das Beispiel Reichenbach nehmen, könnte man daraus schließen, dass jetzt möglicherweise auch der Blick auf diese verkrusteten Strukturen im Gesundheitswesen offengelegt wird und daraus die Chance entsteht, etwas Neues zu entwickeln?

Natürlich, wir haben ja vor allem die Problematik – es geht jetzt hierbei gar nicht vordergründig um Geld, sondern es geht uns ja in der Gesellschaft mittlerweile immer mehr um nicht vorhandenes Fachpersonal. Und insofern muss man eben überlegen, jedes auch kleine Krankenhaus braucht ständig einen diensthabenden Arzt am Wochenende und auch in der Nacht und natürlich auch nichtärztliches Personal. Und wenn ein Krankenhaus geschlossen wird, haben wir einfach einen Personalpool, der benachbarte Krankenhäuser in ihrer Personalnot unterstützen kann. Das wird nicht vermeidbar sein und das ist auch am Ende vernünftig. Denn wenn man eine Krankenhausstruktur komplett neu aufbauen könnte auf der grünen Wiese in einem Bundesland oder in einem Staat, würde man das natürlich anders machen. Die Kliniken sind historisch gewachsen, da gibt es kommunale, da gibt es kirchliche, freie gemeinnützige Träger, zunehmend auch private. Aber es sind alles Krankenhäuser, die schon mindestens 100 Jahre bestehen und die Struktur hat sich nun einmal geändert. Und dem muss man auch irgendwann mal nachgeben.

Aber wie flexibel sind da Ärzte, z. B. also einfach mal in eine andere Stadt zu gehen, andere Regionen, das passt oftmals nicht mit den persönlichen Plänen zusammen?

Ja, also ich denke, Ärzte, die in Reichenbach in der Klinik gearbeitet haben, werden kein Problem haben, in einer der vier benachbarten Kliniken zu arbeiten, Wegezeit unter 20 Minuten. Also solange fahren Sie in der Großstadt im Allgemeinen auch zur Arbeit. Also das ist natürlich schöner, wenn ich direkt vor Ort wohne und arbeite. Aber ich denke, 20 Minuten Weg zur Arbeit sind zumutbar und die Ärzte werden und natürlich auch das gesamte andere Personal der Klinik, die werden da flexibel sein, die haben nicht das Problem. Das größere Problem ist für die Bürger und das verstehe ich ja auch, aber ich muss sagen, selbst wenn ich es zu entscheiden hätte – ich würde sagen, ja, eigentlich gehört dort kein Krankenhaus mehr hin. So hart das klingt.

Wir reden über die Strukturen im Gesundheitssystem. Ein System, in dem Milliarden unterwegs sind. Was macht das aber zu einem Fass ohne Boden?

Da haben wir natürlich ein Grundproblem. Wir haben letztlich eine völlig ungeregelte, ungesteuerte Inanspruchnahme des Gesundheitssystems, dass man schon überlegen muss, ob man irgendwo bisschen Steuerung auch mit hinbekommt. Denn es ist bekannt, wir haben zum Beispiel eben auch die höchste Anzahl Arzt-Patienten-Kontakte bevölkerungsbezogen, also fast weltweit. Und da muss man ja fragen, können wir uns das noch leisten? Ich rede wieder nicht vom Geld mit leisten – sondern können wir uns das noch leisten, weil wir eben nicht mehr das Personal dafür haben. Müssen wir nicht irgendwo eine Steuerung haben und die könnte also bei dem Aufsuchen der Notaufnahme, die auch immer ein Krankenhaus zur Voraussetzung hat, beginnen.

Das sind ja so paar Modelle, die unterwegs sind, gerade bei den Notaufnahmen, die dann im Ernstfall gerade am Wochenende sehr stark frequentiert werden. In Rheinland-Pfalz z. B. gibt es so ein Testmodell, da wird eine Praxis vorgeschaltet, die sortiert praktisch so ein bisschen die Fälle aus, so dass nicht jeder in die Notaufnahme muss. Ist das so der Weg, den Sie sich auch vorstellen?

Auf jeden Fall. Aber das ist nicht neu in Rheinland-Pfalz, sondern wir haben an ganz vielen Krankenhäusern in Sachsen auch seit einigen Jahren solche Bereitschaftspraxen, die vorgeschaltet sind. Auch die dürfen nicht völlig ungesteuert in Anspruch genommen werden, weil auch dort ein Aufwand entsteht, der ist nun mal wesentlich höher, als wenn der Patient in eine normale Praxis in der Woche geht. Und wir dürfen es auch nicht zum Regelfall werden lassen, dass man sagt: „Ach Gott, da ist ja immer jemand da und da geh ich mal dort hin, das ist für mich bequemer.“ Das müsste man steuern.

Was ist das für ein höherer Aufwand?

Nun ja, wenn eine Praxis normal betrieben wird, dann ist das alles strukturiert, eingerichtet für einen hohen Patientendurchlauf. Und wenn ich jetzt eine zusätzliche Praxis einrichte vor einer Kliniknotaufnahme oder ideal, kombiniert mit der Kliniknotaufnahme, das bedeutet mit einem gemeinsamen Annahmetresen, dann ist natürlich der Aufwand, der dort getrieben wird, schon mal deshalb, weil es eben zu Unzeiten stattfindet, ich brauche ein zusätzliches Personal noch – und gut, das haben wir mittlerweile – aber es darf nicht sein, dass wir diese Struktur immer weiter ausbauen müssen, weil, dann brauchen wird weiteres Personal, dann müssen wir mehrere Ärzte dort hinsetzen, wenn dieser Weg in die Notaufnahme oder die vorgeschaltete Praxis irgendwie gebahnt wird und der übliche am Ende wird, einfach weil es vorhanden ist. Und dies darf nicht erfolgen, das ist einfach zu teuer. Zu teuer, und der Arzt, der dort tätig ist, ist natürlich dann entsprechend weniger in seiner Praxis tätig und da haben wir ja auch schon mittlerweile ein Problem.

Ist denn gleichwohl vielleicht ein Baustein in diesen ganzen Strukturüberlegungen ein anderes Steuerungselement, hatten wir ja schon mal, kennen wir – die Praxisgebühr – wurde eingeführt, wurde wieder abgeschafft. 10 Euro waren das, glaube ich. Der Aufwand war relativ groß. Ist das der Zeitpunkt, wieder darüber nachzudenken, vielleicht in anderer Form?

Also unbedingt! Ich war damals gegen die Abschaffung der Praxisgebühr. Sie war ja geteilt, es gab die normale und es gab die für den Notfall. Zumindest die für den Notfall, das waren jeweils 10 Euro einmalig im Quartal, egal wie oft man dann den Arzt oder eine die Bereitschaftspraxis aufsuchte. Und es ist doch schon bezeichnend, dass in der Stadt Dresden, als die Praxisgebühr eingeführt wurde, die Inanspruchnahme in dem Fahrdienst für die Ärzte um 40 Prozent zurückgegangen ist. Also 40 Prozent der Bürger, die bisher dies in Anspruch genommen haben, denen war es nicht 10 Euro wert, dass der Arzt am Wochenende oder in der Nacht zu ihnen nach Hause kam und haben gesagt, ok, dann gehe ich am nächsten Tag zum Arzt, das kostet mich nichts. Man muss natürlich immer sehen, dass man solche – irgendwo Eigenbeteiligungen – sozial absichert, dass nicht Menschen wirklich nicht das Geld haben, insofern war der strukturelle Fehler, dass man dort Geld vor Ort kassieren musste und also haben musste in dem Moment und es mag auch mal Leute geben, die haben keine 10 Euro. Aber das kann man ja heutzutage anders klären über den Krankenkassenbeitrag.

Also der Beitrag wäre der einfachste, komfortabelste Weg?

Ja, über den Beitragseinzug und natürlich wirkt es dann nicht so ganz direkt, weil man in dem Moment ja gar nicht weiß es kostet Geld, aber irgendwann kriegt man die Abrechnung und da steht drauf ich habe dafür weniger oder mehr zahlen müssen für die Krankenkasse.

Ist es dann nicht doch besser, man merkt es wirklich am Portemonnaie, um sich den Arztbesuch dann möglicherweise nochmal zu überlegen?

Ja, kann man so sehen, glaube ich, aber ist auch nicht vermittelbar in Deutschland. Es ist natürlich extrem unpopulär, irgendwo eine zusätzliche Gebühr oder etwas zu verlangen und die Widerstände sind massiv und dann sollte man es nicht auch noch so kompliziert gestalten und eben das Argument liefern, wer jetzt im Moment die 10 Euro nicht hat, der kann nicht zum Arzt gehen. Und dann kommt dann gleich mal dieser alte Spruch: „Weil Du arm bist, muss Du früher sterben.“ Und da wird es dann schwierig mit der Argumentation.

Nun gehen die Strukturpläne aus dem Bundesgesundheitsministerium, zuständiger Minister Karl Lauterbach, noch sehr viel weiter. Er beschreibt drei Modelle. Da gibt es einmal die Grundversorgung. Andere Kliniken sind dann für die Regel-, für die Schwerpunktversorgung zuständig und dann gibt es die Maximalversorgung. Ist das ein Konzept, was funktionieren kann? Ist das schon strukturiert genug?

Also ich muss sagen, ich wunder mich immer, dass man dieses als so neu betrachtet. Denn genau diese Untergliederung, auch mit den Begriffen, gibt es schon ewig. Es gibt immer schon Maximalversorger-Krankenhäuser und es gibt Grundversorger-Krankenhäuser.

Aber es gibt vielleicht zu viel Maximalversorger-Krankenhäuser?

Zu viele Maximalversorger gibt es mit Sicherheit nicht, dort will man auch keine Abstriche machen. Also die allermeisten Maximalversoger sind Universitätsklinika. Die werden auch Maximalversorger bleiben. Das Problem ist eigentlich, dass man sagt, wir haben zu viel, die ganz unten in der Pyramide sind, also an der Basis. Die Basisversorgung, dort haben wir zu viele und zu kleine Kliniken. Dort will man nicht am Ende sagen, es soll insgesamt eine geringere Kapazität haben, sondern die Kapazität soll auf weniger Einrichtungen verteilt werden. Das ist absolut vernünftig und ich denke, Sachsen hat hier eine ziemlich gute Krankenhausstruktur. Es gibt andere Länder, die haben da viel mehr Nachholbedarf. Bei uns ist nach der politischen Wende eine eigentlich damals sehr vernünftige Krankenhausumstrukturierung erfolgt. Das Problem ist eher dann: „Was macht man mit den Kliniken, die dann eben nicht mehr existieren?“ Und da ist ja der Gedanke, dass man daraus irgendwie Gesundheitszentren macht. Und das ist auch sicher richtig und da wäre ja Reichenbach ein typischer Fall gewesen, aber das ist einfach zu früh insolvent gegangen.

Klinikplanung ist in Deutschland Ländersache. Und gerade die Landesregierungen haben die Versorgung im ländlichen Raum im Blick. Aber wo Sie das angedeutet haben, im Osten Deutschlands ist offenbar nach der Wende sehr viel klüger vorgegangen worden bei der Strukturierung und der Westen ist nicht nachgezogen? Oder sind die Strukturen so verkrustet, dass man da nicht ran kann?

Der Weg über eine Insolvenz ist am Ende natürlich für die Krankenhausversorgung-Zuständigen im Ministerium, am Ende – so blöd das klingt – der Leichtere. Weil da können Sie sagen, „da kann ich nichts dafür, das ist nun mal insolvent geworden“. Ich kann die Paracelsus nicht zwingen, dort Geld reinzustecken, um eine Insolvenz abzuwehren. Eine Planung ist natürlich wesentlich vernünftiger, wenn man das strukturiert macht. Und ein Krankenhaus also irgendwo bewusst, ohne dass es vor der Insolvenz steht, zu schließen, ist vor Ort extrem schwierig, dass verstehe ich ja auch, ja. Ein Bürgermeister, der ein Krankenhaus hat, und hat in Zukunft keins mehr, der hat ein Riesenproblem. Wie wollen sie denn das der Bevölkerung vor Ort kommunizieren? Das ist ein ganz objektives Problem und da muss man durch und da muss man auch Verantwortung übernehmen dafür, für unpopuläre Entscheidungen.

Sehen Sie aber solche Bürgermeister, die das auch kommunizieren können und zwar so, dass man dem folgen kann als Patient, als Bürger?

Ich glaube, das ist vom Bürgermeister einfach zu viel verlangt. Und insofern ist es vernünftiger, wenn eine darüberliegende Struktur die Entscheidung trifft und der Bürgermeister wehrt sich nach Kräften, aber weiß, dass er das nicht schafft.

Wie könnten solche Einschnitte dann auch auf den Weg gebracht werden? Müssten wir über eine fünf oder zehn Jahre so eine Perspektive aufmachen und sagen, ja – solange leisten wir uns das noch, aber danach wird es anders aussehen? Kann man sich dann darauf einrichten?

Das wäre ja bei allen Strukturveränderungen gut, wenn man die mit Ansage macht, ja. Wenn man sich darauf einrichten kann und wenn nicht irgendwo von heute auf morgen etwas über die Menschen oder über den Bürgermeister kommt. Das wäre natürlich schön, natürlich wird die Zeit, muss man aufpassen, dass die Zeit auch dafür genutzt werden wird, einen Widerstand dagegen aufzubauen. Aber wenn man eine ganz klare Ansage macht, in fünf Jahren werden wir die Strukturierung in dem Landkreis der Krankenhäuser ändern und aus fünf Krankenhäusern werden bloß noch drei werden und dann auch keine Luft mehr ran lässt, nicht sagt: „das diskutieren wir jetzt fünf Jahre“, sondern wir haben es entschieden, Ihr dürft Euch fünf Jahre lang darauf einrichten, aber dann wird es erfolgen, das wäre doch der richtige Weg.

Wird es also automatisch mit diesen Reformplänen aus Berlin zu weniger Krankenhäusern kommen müssen?

Aber ja und das ist auch richtig. Aber ich denke, es war nicht so sehr klug, dass man schon, das hat die deutsche Krankenhausgesellschaft allerdings ein bisschen betrieben – dass man schon so klar kommuniziert hat, welche Krankenhäuser alle in Deutschland wegfallen sollen, denn damit hat man natürlich einen immensen Widerstand aufgebaut.

Wie wäre es klüger gewesen? Also nicht sofort so festzulegen? Oder wie soll das gehen?

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft hat ja nur das öffentlich gemacht, was die Regierungskommission letztlich schon zu Papier gebracht hat. Und dort war der Fehler, dass man so schnell so konkret das festgelegt hat. Man hat es auch meiner Ansicht nach überzogen, also man hat dort bisschen zu sehr eine Idealstruktur vor Augen gehabt. Und mit dem Ideal ist das immer blöd, man muss pragmatisch rangehen. Und man hätte das ja auch gestuft machen können und sagen, wir gucken mal erstmal, wo ist denn, sagen wir mal – böse gesprochen – wo sind denn die unsinnigsten Krankenhausstandorte. Damit fangen wir mal man. Es muss doch nicht von heute auf morgen sein. Es muss auch nicht in drei Jahren sein. Und dann kann man mal schauen, wie das funktioniert hat. Viele Dinge regelt ansonsten der Markt über die Insolvenz und sie haben ja auch das Problem, umso knapper das Personal wird, umso teurer wird das Personal. Und dann kann eben eine kleine Klinik dort einfach nicht mehr mithalten.

Sie als Pragmatiker zum Schluss gefragt: Warum sollte die Patientenversorgung besser werden, wenn wir mehr Kliniken schließen?

Nun, die Frage ist mal an einem Beispiel zu beantworten: Lange Zeit war eine große Diskussion – und da ist vor allem in Westdeutschland noch viel zu tun – wenn Geburtskliniken geschlossen werden. Jede Frau, sagen wir mal, oder jede Familie, wo ein Kind erwartet wird, und sich ein bisschen informiert, wird ihr Kind dort zur Welt bringen, wo es nicht nur eine Kinderklinik, sondern auch eine direkte Neonatologie gibt, wo also eine Betreuung von Neugeborenen optimal erfolgen kann. Diese Vorgabe hätte man machen müssen, hat man nicht gemacht. Aber am Ende stimmen die Frauen mit den Füßen ab. Die würden zwar vor Ort eine Geburtsklinik oder eine kleine gynäkologische Klinik schon mal unterstützen, auch mal mit einer Petition oder sonst wo. Aber wenn es um die Geburt des eigenen Kindes geht, dann geht man dorthin, wo man weiß, dort ist die spezialisierte Hilfe möglich, für den Fall, dass etwas passiert und das ist ja nun möglich. Und insofern geht es schon darum, dass man damit auch die Qualität verbessert. Und ich denke mal, gerade das Beispiel Geburt, wie oft passiert das im Leben einer Frau? Also 1 Komma und was Mal. Und da mal einen längeren Weg zu haben, das ist doch vertretbar und da wäre viel noch nötig. Und das ist ein Beispiel dafür, dass eben auch die Qualität gesteigert werden kann – mit weniger Kliniken.

Sagt der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, Herr Dr. Klaus Heckemann. Vielen Dank für das Gespräch und Ihre Zeit.