Die Entwicklung der Internationalen Praxis in Dresden - die Redaktion im Gespräch mit Verwaltungsleiterin Katja Voigt

In Dresden und Chemnitz betreibt die KV Sachsen zwei „Internationale Praxen“, in denen Patientinnen und Patienten unterschiedlicher Nationen betreut und behandelt werden. Das interkulturelle Praxisteam zeichnet sich durch Mehrsprachigkeit aus. Über die Entwicklung der Internationalen Praxis in Dresden sprachen wir mit Verwaltungsleiterin Katja Voigt.

Im März 2019 stellten wir das Team der Internationale Praxis Dresden in den KVS-Mitteilungen vor. Wie hat es sich verändert?

Vom damaligen Team sind inzwischen kaum noch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns. Und mit dem Team haben sich nicht nur unsere Arbeitsweise, sondern auch das Weltgeschehen, dessen Auswirkungen auf die Migrationsbewegungen und damit auch die Herausforderungen für die Praxis hier in Dresden verändert. Derzeit arbeiten zwei Allgemeinärztinnen und ein Allgemeinarzt, eine Gynäkologin und zwei Kinderärztinnen – alle in Teilzeit – in unserer Praxis. Unterstützt werden sie von sechs Pflege- und drei Verwaltungskräften, fünf Dolmetschern in Anstellung sowie Werkstudenten aus dem medizinischen Bereich, die uns mit ihren Sprachkenntnissen oder medizinischer Kompetenz unterstützen.

Wie hat sich die Behandlungsweise entwickelt?

Waren wir anfangs noch eine Praxis mit einem großen Durchlauf analog zu den Bereitschaftspraxen, hat sich diese Behandlungsweise inzwischen gewandelt hin zu einer dauerhaften Anbindung erkrankter Asylsuchender und Bleibeberechtigter in der hausärztlichen, kinderärztlichen und frauenärztlichen Sprechstunde. In unserer Terminsprechstunde behandeln wir einen großen Patientenstamm überwiegend „jüngerer“ Patienten. Nur 15 unserer derzeitigen Patienten sind älter als 75 Jahre. Daneben bieten wir eine tägliche Akutsprechstunde an, die vor allem von neuen Patienten aus den Erstaufnahmeeinrichtungen oder akut erkrankten Stammpatienten rege genutzt wird.

Die Patienten kommen aber nicht nur mit medizinischen Anliegen zu Ihnen?

Für viele Patienten sind wir im Laufe der Jahre zu ihrer betreuenden Hausarztpraxis geworden. Sie kommen mit allen medizinischen Anliegen zu uns in die Praxis. Dies sind aber oft nicht nur gesundheitsbezogene Fragen, sondern auch Fragen der Lebensführung, der Kindererziehung, Fragen im Zusammenhang mit Ämtern und Behörden, Fragen bei Familiennachzug oder Asylverfahren. Sie sind oft bereits gut in Deutschland angekommen, haben sich hier in Dresden eingerichtet und können ausreichend Deutsch für ihre Alltagsbewältigung. Insofern verstehen wir die Fragen immer auch als großen Vertrauensbeweis. Aber wir sehen auch, dass gut integrierte Patienten mit Deutschkenntnissen eine andere Praxis aufsuchen sollten und nicht die Internationale Praxis – verzeichnet doch Dresden derzeit eine große Zuweisung von Asylsuchenden und Geflüchteten, die zum einen noch kein Wort Deutsch beherrschen und zum anderen noch über die Sonderkostenträger versichert sind.

Welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine für die Aufnahme und Behandlung von Patienten?

Im Vergleich zu 2021 hat sich bei uns die Anzahl der Neupatienten um 50 Prozent erhöht. Begonnen hat dies mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine. Die meisten Patienten aus der Ukraine haben durch die große Solidarität in Dresden schnell Anschluss an die Haus-, Kinder- und Frauenarztpraxen gefunden. Dafür möchten wir uns an dieser Stelle ganz herzlich bedanken.

Der Zustrom von Migranten hält weiterhin an. Wie gehen Sie damit um?

Uns erreichen weiterhin viele afghanische Geflüchtete, die Schutz vor dem Taliban-Regime suchen. Im Frühjahr bebte in Syrien und in der Türkei die Erde, wenig später auch in Marokko. Durch die Flut in Pakistan wurden im letzten Jahr Millionen Menschen obdachlos und die Ernte zur Hälfte vernichtet. In Venezuela herrscht seit nunmehr zehn Jahren Ausnahmezustand mit einer der größten Migrationsbewegungen weltweit.

Auch der derzeitige Konflikt im Nahen Osten wird wieder Tausende Menschen ihrer Heimat berauben und in die Flucht zwingen. Aus all diesen Ländern und vielen weiteren hier ungenannten Krisen- und Kriegsgebieten auf der Erde suchen diese betroffenen Menschen in Europa Obdach oder drängen aus den Asyl gewährenden Nachbarländern andere Geflüchtete weiter, da die Aufnahmekapazitäten dort mehr als ausgeschöpft sind und diese Länder sich zumeist am Rande oder bereits in einer humanitären Katastrophe befinden. Daher erreichen uns zumeist Menschen in gesundheitlich schlechtem Zustand und mit offenkundig großer Not. Auch in diesem Jahr werden wir die Zahl der Neupatienten vom letzten Jahr wieder übertreffen. Ende Oktober betrug die Zahl bereits über 1.900. Das bedeutet pro Tag und Arzt mindestens drei neue Patienten mit umfänglichen Krankheitsgeschichten, oft traumatischen Erlebnissen im Heimatland und auf der Flucht, unsicherer Situation hier in Deutschland, wirtschaftlicher Not und großer sozialer Einsamkeit und Hilflosigkeit.

Wie kann das Praxisteam helfen?

Eine besondere Herausforderung stellen für uns die psychosozialen und neurologischen Erkrankungen dar. Zum Jahreswechsel 2022/23 hat unsere Psychiaterin, die einen großen Teil dieser Patienten und Patientinnen betreut hat, ihren bereits herausgeschobenen Ruhestand angetreten. Eine Nachbesetzung der Stelle ist uns leider nicht gelungen. Und so sehen sich die Allgemeinärzte, aber auch die Gynäkologin und die Kinderärztinnen, immer häufiger in der Situation, die vielen schwer traumatisierten, depressiven oder belasteten Patienten und Patientinnen während der langen Wartezeit auf ein externes therapeutisches Angebot zu behandeln. Auch die Anzahl von neurologisch schwer erkrankten Kindern oder Kindern mit kognitiven, motorischen oder sozialen Defiziten ist in unserer Praxis überproportional hoch. Zum einen sind diese Erkrankungen und die fehlende medizinische Versorgung im Heimatland eine Fluchtursache, zum anderen begünstigt aber auch eine Migrationsbiografie die Entwicklung von Verhaltensauffälligkeiten.

Vor welchen Problemen steht die Internationale Praxis?

Angesichts dieser Zahlen können wir nicht alle Patienten in unserer Praxis aufnehmen, die bei uns Termine anfragen. Insbesondere bei den Kinderärztinnen und bei der Gynäkologin haben wir derzeit keine Kapazitäten mehr zur Verfügung. Kulturell bedingt bringen die Familien viele Kinder mit und von einem Geburtenrückgang ist bei uns nichts zu spüren. Deshalb können Patienten und Patientinnen, die bereits eine elektronische Gesundheitskarte besitzen und ausreichend Englisch beziehungsweise Deutsch sprechen oder einen deutschsprechenden Partner haben, keine Termine mehr in unserer Praxis erhalten. Für alle Patienten aus den Erstaufnahmeeinrichtungen oder den Gemeinschaftsunterkünften sind wir aber weiterhin gerne da.