Auseinandersetzung mit Krankenhaus-Reform: unkontrolliertes Kliniksterben verhindern

Auf der Tagesordnung der 84. Vertreterversammlung standen als Schwerpunktthemen Einschätzungen zur geplanten KrankenhausReform und zu spezifischen Versorgungssituationen sowie Änderungen von Honorarverteilungsmaßstab, Bereitschaftsdienstordnung und der Richtlinie zur Anerkennung von Praxisnetzen.

Der Vorsitzende der Vertreterversammlung, Dr. Stefan Windau, begrüßte die Mitglieder der Vertreterversammlung, die Vorsitzenden der Beratenden Fachausschüsse sowie die Ehrengäste, darunter Dr. Michael Schulte Westenberg, der Hauptgeschäftsführer  der Sächsischen Landesärztekammer. Von den 40 Mitgliedern waren 35 anwesend, damit wurde die Beschlussfähigkeit festgestellt.

Leider sei es in der aktuellen Situation schwierig, etwas Positives zu berichten, so Dr. Stefan Windau, Vorsitzender der Vertreterversammlung.

Als Beispiele nannte er die weiterhin überbordende Bürokratie, die durch Gesetze eher noch verstärkt werde, und die verkorkste Digitalisierung wie z.B. beim eRezept und der ePa. Des Weiteren erläuterte er seinen Standpunkt zur derzeit von der Bundesregierung angestrebten Krankenhaus-Reform. Als wichtigste Inhalte des von einer Regierungskommission erarbeiteten Reformpapiers benannte er eine einheitliche Definition von Krankenhaus-Versorgungsstufen (sogenannte Level), ein zugehöriges System von Leistungsgruppen sowie eine bedarfsgerechte und qualitätsorientierte Vorhaltefinanzierung. Die extreme Fehlentwicklung über DRGs werde deutlich korrigiert, das zumindest sei positiv, sagte er.

So vernünftig diese Reform im Grundsatz auch ist, sage leider  kaum jemand ehrlich,  welche Konsequenzen auch zu erwarten seien. In ihrer Pressekonferenz am 13. Februar 2023 hatte die Deutsche Krankenhausgesellschaft darauf hingewiesen, dass die Strukturreform zur Schließung von bundesweit ca. 1.190 Standorten führen würde. Unabhängig davon, ob diese Zahlen tatsächlich zuträfen, sei mit einer deutlichen Reduktion der Anzahl der Krankenhäuser zu rechnen, so Dr. Windau.

Weiterhin stellte er fest, dass gerade in Sachsen dem Transformationsprozess der 1990er Jahre Rechnung getragen werden müsse. Denn anders als im Westen haben wir im Osten bereits einen deutlichen Abbau von Standorten vollzogen, sagte er.

Als nächstes widmete sich Dr. Windau in seinem Redebeitrag der Reform der Notfall- und Akutversorgung und zitierte dazu den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, der erneut eine Notfallgebühr forderte. Diese werde jedoch vom Bundesgesundheitsminister abgelehnt. Große Fragezeichen werfe für ihn die Forderung nach einem Bereitschaftsdienst auf, der rund um die Uhr, an allen Wochentagen, durch die KVen realisiert werden solle, so Dr. Windau. Ein fundiertes Ersteinschätzungsverfahren in einer Leitstelle halte er zwar für sinnvoll, doch Parallelstrukturen dürften keine entstehen, sowohl aus Kosten- als auch aus Personalgründen.

Ein dritter Diskussionspunkt war das Eckpunktepapier der Gesundheitsministerkonferenz zu einem MVZ-Regulierungsgesetz. Hier sprach sich Dr. Windau deutlich gegen investorengetriebene MVZ aus, auch um Risiken entgegenzuwirken, die aufgrund der Ausrichtung an ökonomischen Prämissen – und nicht an den medizinischen Fragestellungen der Patienten – die medizinische Versorgung eher gefährden statt verbessern.

Der Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Dr. Klaus Heckemann, startete zunächst mit zwei positiven Ergebnissen: So sei die Vergütung der Corona-Impfung erfolgreich mit den Kassen verhandelt worden. In diesem Zusammanhang wurde auch für die Grippe-Impfung eine Vergütungserhöhung erreicht. Desweiteren sehe er einer Aufhebung der Budgetierung „hoffnungsvoll“ entgegen, da diese bei den Kinder- und Jugendärzten bereits erfolgt sei.

Wachsende Probleme hingegen sieht Dr. Heckemann bei der Sicherstellung der medizinischen Versorgung und zitierte einen bemerkenswerten Satz aus dem Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP: „Wir stellen gemeinsam mit den KVen die Versorgung in unterversorgten Regionen sicher.“ In Sachsen werde eher das Gegenteil davon praktiziert. Trotz umfangreichster Bemühungen der KV Sachsen und  finanzieller Anreize für Niederlassungen, besteht im Planungsbereich Löbau/Zittau eine hautärztliche Unterversorgung. Doch statt gemeinsam mit der KV nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen, drohte das Sächsische Staatsministerium für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (SMS) in einem Anhörungsverfahren zu einem möglichen Verpflichtungsbescheid eine monatliche Strafzahlung von 25.000 Euro an (erstmalig in Deutschland und der gesetzlich höchste Satz).

Aus dem Verwaltungsvollstreckungsgesetz

Zweiter Abschnitt - Erzwingung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen (§§ 6 - 18)

§ 11 Zwangsgeld

(1) 1Kann eine Handlung durch einen anderen nicht vorgenommen werden und hängt sie nur vom Willen des Pflichtigen ab, so kann der Pflichtige zur Vornahme der Handlung durch ein Zwangsgeld angehalten werden. 2Bei vertretbaren Handlungen kann es verhängt werden, wenn die Ersatzvornahme untunlich ist, besonders, wenn der Pflichtige außerstande ist, die Kosten zu tragen, die aus der Ausführung durch einen anderen entstehen.
(2) Das Zwangsgeld ist auch zulässig, wenn der Pflichtige der Verpflichtung zuwiderhandelt, eine Handlung zu dulden oder zu unterlassen.
(3) Die Höhe des Zwangsgeldes beträgt bis zu 25.000 Euro.

Sollte es zum wirksamen Erlass des Verpflichtungsbescheides und damit zur  Strafzahlung kommen, so werde sich die KV Sachsen mit allen rechtlichen Mitteln dagegen wehren, versicherte Dr. Heckemann. Letztendlich würde damit die aktiv an der medizinischen Versorgung beteiligte Ärzteschaft bestraft, denn das Geld würde der KV Sachsen entzogen und könne somit nicht in eine Verbesserung der Versorgungslage investiert werden.

Leider könne auch nicht mit Freiwilligkeit seitens des ärztlichen Nachwuchses, sich in ländlichen Regionen außerhalb der Großstädt niederzulassen, gerechnet werden. Eine Verschiebung der Lebensmodelle werde immer deutlicher: Die Work-Life-Balance wandele sich zur Work-Life-Life-Balance – für einen Freizeitgewinn werde durchaus auf finanzielle Einnahmen verzichtet. Und Zwangsverpflichtungen wie zu DDR-Zeiten seien absolut unpopulär. Hier müsse man wohl das oben zitierte Versprechen aus dem Koalitionsvertrag, eine Sicherstellung gemeinsam mit den KVen, anmahnen.

Dr. Heckemann erwähnte den Wegfall der Neupatientenregelung seit Jahresbeginn und die Neuregelungen zu Vermittlungsfällen, z.B. die Anhebung der Zuschläge für Behandlungen vermittelter Patienten auf bis zu 200 Prozent für TSS-Vermittlungsfälle. Ein übermäßiges Ausnutzen dieser Regelungen werde jedoch dazu führen, dass diese wohl keinen langen Bestand haben dürften.

Weiterhin kam Dr. Heckemann auf die Schließung der Paracelsus-Klinik in Reichenbach zu sprechen. Dies gebe einen (bitteren) Vorgeschmack auf die von der Bunderegierung vorangetriebene Krankenhausstrukturreform. Immerhin seien hier die umliegenden vier Krankenhäuser in ca. 20 Minuten erreichbar. Und man müsse auch ehrlich sagen: Wirtschaftlich nicht rentable, kleinere Krankenhäuser könnten nicht bestehen bleiben, wenn sie die Versorgung nicht voranbringen, so Dr. Heckemann weiter.

In der anschließenden Diskussion setzten sich die Ärztevertreter mit der geplanten Krankenhaus-Reform auseinander und warnten vor einem „unkontrollierten Kliniksterben“. Auch wurden verschiedene Vorschläge diskutiert, um die Situation in Gebieten mit drohender Unterversorgung zu entlasten. Dr. Heckemann bestätigte, dass für Löbau u.a. eine Sonderbedarfszulassung geplant sei. Unterstützung auf Bundesebene hält er für sehr unwahrscheinlich, da sich die Strukturprobleme vorerst vor allem in den östlichen Bundesländern offenbarten.

Dr. Heckemann erläuterte die notwendig gewordenen Änderungen am Honorarverteilungsmaßstab (HVM). So wurden Passagen zu Corona-Leistungen aufgrund der Beendigung der Pandemie gestrichen. Hauptsächlich ging es um Neustrukturierungen wegen der gesetzlichen Änderung der Vergütung der Fachärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sowie der Fachärzte für Kinder- und Jugendmedizin. So erfolgt die Vergütung der kinder- und jugendpsychiatrischen Grundversorgung, Gespräche, Beratungen, Erörterungen, Abklärungen, Anleitung von Bezugs- oder Kontaktpersonen, Betreuung sowie kontinuierliche Mitbetreuung in häuslicher Umgebung oder in beschützenden Einrichtungen oder Heimen mit Wirkung ab 1. April 2023 außerbudgetär.

Die Vergütung der Fachärzte für Kinder- und Jugendheilkunde erfolgt mit Wirkung ab 1. April 2023 für die Leistungen des Kapitels 4 EBM bei Versicherten, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, aus einem separaten Vergütungsvolumen der MGV. Leistungen außerhalb des Kapitels 4 EBM und Leistungen für Versicherte, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, werden aus dem Vergütungsvolumen des hausärztlichen Versorgungsbereiches honoriert. Die Detailregelungen sind noch durch den Bewertungsausschuss bzw. durch die Vorgaben der KBV festzulegen. Diese gelten dann entsprechend für die Honorarverteilung.

Des Weiteren wird die garantierte 100-Prozent-Vergütung für übrige Leistungen im hausärztlichen Versorgungsbereich bis zum 30. Juni 2024 ausgesetzt. Aufgrund von Einbudgetierungen erfolgten weitere Anpassungen.

Die Änderungsvorschläge wurden mehrheitlich angenommen.

www.kvsachsen.de > Für Praxen > Recht und Vertrag > Verträge A-Z > Buchstabe H > HVM

Im Zuge der Bereitschaftsdienstreform und daraus resultierender Vorstandsbeschlüsse hatte sich Änderungsbedarf an der Bereitschaftsdienstordnung (BdO) ergeben, welcher zu beschließen war. Dipl.-Med. Peter Raue, der Vorsitzende der Bereitschaftsdienstkommission, stellte die Änderungen vor.

Zur Teilnahme von Ärzten in Weiterbildung am Bereitschaftsdienst wurden (analog zu denen anderer KVen) Ausnahmeregelungen für (eigene) Ärzte in Weiterbildung und die hierfür notwendigen Weiterbildungszeiten vorgeschlagen. So kann ein Arzt in Weiterbildung als Vertreter am ärztlichen Bereitschaftsdienst teilnehmen, wenn ein Weiterbildungsverhältnis zum Ausbilder besteht und dieser die Verantwortung für den Dienst übernimmt. Die BD-Vertretung ist frühestens nach Abschluss des 2. Weiterbildungsjahres bei entsprechender Weiterbildung in den Gebieten Allgemeinmedizin oder Innere Medizin möglich, für alle anderen Fachgebiete nach Abschluss des 3. Weiterbildungsjahres.

Die Dienstpläne sollen künftig aus Datenschutzgründen von den beteiligten Vertragsärzten und den ärztlichen Leitern der MVZ aus dem Mitgliederportal der KV Sachsen selbständig abgerufen werden. Der Dienstplan wird mindestens quartalsweise für den jeweiligen Bereitschaftsdienstbereich in elektronischer Form mittels des in der KV Sachsen eingeführten Dienstplanungsprogrammes erstellt. Dabei ist eine gerechte Dienstverteilung im jeweiligen Bereitschaftsdienstbereich anzustreben, heißt die neue Formulierung.

Die Änderungen wurden einstimmig angenommen. Die geänderte BdO tritt am 1. Januar 2024 in Kraft.

www.kvsachsen.de > Für Praxen > Recht und Vertrag > Verträge A-Z > Buchstabe B > Bereitschaftsdienstordnung

Seit dem Jahr 2013 sind Kriterien und Qualitätsanforderungen für die Anerkennung besonders förderungswürdiger Praxisnetze in der Rahmenvorgabe gemäß § 87b Abs. 4 SGB V zu bestimmen. Mit den aktualisierten Rahmenvorgaben der KBV sollen dezentrale Strukturen in der vertragsärztlichen Versorgung, die kollegiale Zusammenarbeit und die Organisationsentwicklung in den Praxen weiter gefördert werden. Dazu zähle die Stärkung von Kooperationsansätzen, die Entwicklung weiterer (optionaler) Strukturmaßnahmen auf Netzebene und die Weiterentwicklung der Versorgungsberichte, erläuterte die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Dr. Sylvia Krug. An einer Stelle weiche die KV Sachsen von der Rahmenvorgabe der KBV ab. Diese sehe vor, dass das anzuerkennende Praxisnetz seit mindestens zwei Jahren bestehen müsse. Die KV Sachsen werde hier bei mindestens drei Jahren bleiben. Nach Rücksprache mit der KBV sei dies möglich. Die KV Sachsen habe bei Praxisnetzen, die erst seit zwei Jahren bestehen, Verbesserungsbedarf im Bereich der Versorgungsziele und -Kriterien nach § 4 der Richtlinie festgestellt. Nach drei Jahren sei davon auszugehen, dass die Strukturen nachhaltiger seien.

Die Richtlinie zur Anerkennung von Praxisnetzen in Sachsen wurde mehrheitlich angenommen und zum 1. Juli 2023 in Kraft gesetzt.

Im Rahmen der anschließenden Diskussion sollte über verschiedene Anträge abgestimmt werden, die jedoch sehr kurzfristig eingebracht wurden. Da weder die Mitglieder der Vertreterversammlung noch der Vorstand der KV Sachsen die Themen umfassend bewerten konnten, wurde der Vorstand beauftragt, die Anliegen fachlich zu prüfen, entsprechend zu bewerten und über das Ergebnis bei der nächsten Vertreterversammlung zu berichten. In der Geschäftsordnung ist festgelegt, dass Vorschläge zur Tagesordnung bis vier Wochen vor dem Versammlungstermin und konkrete Anträge eine Woche vorher schriftlich einzureichen sind, um eine fachliche Vorbereitung zu ermöglichen. Kurzfristige Anträge benötigen die Unterstützung entweder vom Vorstand, einem Regionlausschussvorsitzenden oder von mindestens zehn gewählten Vertretern.

Dr. Windau bedankte sich abschließend bei allen Mitwirkenden und Organisatoren für die Durchführung der Veranstaltung.

Öffentlichkeitsarbeit/pfl