Kernpunkte: Die straf- und berufsrechtliche Einordnungen sowie die ethische Auseinandersetzung.

Die jährlich stattfindende satzungsgemäße Fortbildungsveranstaltung der KV Sachsen beschäftigte sich am 13. Dezember 2023 mit dem hochemotionalen Thema des ärztlich assistierten Suizids. Kernpunkte waren straf- und berufsrechtliche Einordnungen sowie die ethische Auseinandersetzung.

Dipl.-Med. Christine Kosch, Ärztliche Leiterin im KV-Bezirk Dresden, lud zur Fortbildungsveranstaltung ein, für die mit Dr. Alexander Gruner, Leiter der Rechtsabteilung der Sächsischen Landesärztekammer, und dem Mediziner und Philosophen Prof. Dr. Giovanni Maio, Universitätsprofessor für Medizinethik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, zwei ausgewiesene Experten gewonnen werden konnten. Auf dem Podium saßen weiterhin der Vorstandsvorsitzende der KV Sachsen, Dr. Klaus Heckemann, Dr. Grit Richter-Huhn, Vorsitzende des Regionalausschusses Dresden, und Robert Baierl, Geschäftsführer der KV-Bezirksgeschäftsstelle Dresden.

Rechtliche Grundlagen

Zu Beginn ordnete Dr. Gruner das Thema straf- und berufsrechtlich ein und erklärte den rechtlichen Rahmen. Bereits bei den Begrifflichkeiten gebe es unterschiedliche Vorstellungen bei Ärzten, Juristen und Patienten, sodass Begriffe wie „Sterbehilfe“ erst einmal richtig eingeordnet werden müssten. „Passive Sterbehilfe“ durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung (Behandlungsabbruch) kann mit entsprechendem Patientenwillen straffrei geleistet werden. Behandlungsabbruch ist keine Tötung auf Verlangen nach § 216 StGB, die als aktive Sterbehilfe strafbar ist. Die Beschleunigung des Sterbeprozesses bspw. durch die Gabe schmerzlindernder bzw. sedierender Medikamente (palliative Sedierung) ist auch keine aktive Sterbehilfe, weil die Beschleunigung in Kauf genommen wird, aber der Tod nicht das Therapieziel ist. Beim in der Fortbildungsveranstaltung thematisierten assistierten Suizid begeht der Betroffene selbstständig Suizid, erhält jedoch Hilfeleistung durch einen Dritten. Dies kann z. B. das Beschaffen oder Bereitstellen eines tödlichen Medikaments sein und ist nicht strafbar, solange der Suizident das Geschehen selbst beherrscht.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) beschloss die Streichung des § 217 StGB, der die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellte. Begründet wurde dies mit einer Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse das Recht auf selbstbestimmtes Sterben sowie das Recht, hierzu Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Die Streichung des § 217 StGB und diverse Urteile des Bundesgerichtshofs wirkten als Katalysator der hochemotionalen Diskussion in Deutschland und machten den (ärztlich) assistierten Suizid zu einem sehr aktuellen Thema, welches alle Beteiligten auch die nächsten Jahre juristisch und ethisch begleiten werde.
Seit 2020 ist ärztlich assistierter Suizid auch berufsrechtlich zulässig. Nach § 1 Abs. 2 BO ist es aber Aufgabe der Ärzte, das Leben zu erhalten und Sterbenden Beistand zu leisten. Ein „Therapieziel Tod“ gehöre da grundsätzlich nicht hinein. Das in § 16 behandelte Verbot der Hilfe zur Selbsttötung ist jedoch nicht mehr Bestandteil der Berufsordnung und so ergeben sich neue juristische und ethische Herausforderungen.

Medizinethische Überlegungen

Im Anschluss an die rechtliche Einordnung betrachtete Prof. Maio den assistierten Suizid unter einem ethischen Blick. Die Beihilfe zur Selbsttötung stelle für das ärztliche Selbstverständnis eine besondere Herausforderung dar, weil die Medizin nicht einfach nur Dienstleistungen anbietet, sondern sich verpflichtet, bei allem, was sie tut, auch und gerade nach der Indikation zu fragen, danach zu fragen, ob das, was da getan wird, grundsätzlich sinnvoll und gut ist. Mag man eine Indikation für eine Behandlung stellen, so sei es mit der Indikation zum assistierten Suizid sehr schwierig, eine solche zu stellen, denn dann müsste die Medizin die Herbeiführung des Todes als eines ihrer zentralen Ziele markieren können, und das stoße auf Schwierigkeiten. Denn wäre die Herbeiführung des Todes ein Ziel der Medizin, so müsste man auch die aktive Sterbehilfe als Aufgabe der Medizin betrachten. Da es aber vor diesem Hintergrund schwierig sei, von einer Indikation zum assistierten Suizid zu sprechen, sei es auch schwierig, die Beihilfe zum Suizid zur Aufgabe der Medizin zu erklären.

Mag die Beihilfe zum Suizid in Ausnahme- und Einzelfällen der einzig gangbare Weg sein, so sei es ein Unterschied, ob man sie als Ausnahmefall hinnimmt oder zu einem Regelfall machen möchte. Ausnahmefälle zuzulassen, ohne einen Regelfall daraus zu machen, sei die Schwierigkeit, vor der die moderne Medizin nach dem Urteil des BVerfG zur Streichung des § 217 StGB stehe. Das Urteil wurde von Prof. Maio dahingehend kritisiert, dass die Verzweiflung der Menschen und deren soziale Isolation zu wenig Beachtung darin finden. Die Medizin sei eine soziale Praxis, und sie habe die Aufgabe, auf die Verzweiflung der Menschen Hilfsantworten zu geben, indem sie Gesprächsangebote macht und eine Kultur der Zuwendung ermöglicht.

Auf das Begehren nach einem Suizid ohne Investition in Gespräche und psychosozialer Unterstützung allein mit einem Angebot des assistierten Suizids zu reagieren, wäre kein guter Umgang mit den existentiellen Krisen, die mit Suizidalität verbunden sind. Laut Studien seien die Gründe für einen Suizid vielfältig – etwa soziale Isolation, das Gefühl der Wertlosigkeit oder der Belastung für andere oder der fehlende Glaube an eine Besserung der Situation bzw. negative Erwartungen an die Zukunft. Die Medizin müsse die Gründe ernstnehmen. Der Schwachpunkt des Urteils des BVerfG sei das statische Verständnis des Suizidwunsches. Alle Studien belegen aber die grundlegende Ambivalenz des Wunsches, sodass viel mehr in eine Sorgekultur investiert werden müsse und nicht einer Suizidassistenz als wählbare Dienstleistung das Wort geredet werden dürfe.

Diskussion

Im Anschluss an die Vorträge wurde rege und emotional unter den Fortbildungsteilnehmern und Podiumsgästen diskutiert. Für Dr. Heckemann liegt die Lösung nicht in einer Verrechtlichung. Das Thema sei letzlich zu komplex und emotional, als das es in Gesetzen geregelt werden könne. Ärzten sollte mehr Autonomie gegeben werden. Prof. Maio sieht die wichtigste Suizidprävention in Gesprächen, die Betroffenen helfen könnten, die eigene Lebenssituation umzudeuten. Durch die gegenwärtigen Debatten bestehe die Möglichkeit, offener mit dem Thema umzugehen. Die Gefahr einer Normalisierung sehe er in einer Konfrontation der Ärzte, die zwar nicht gezwungen werden könnten, assistierten Suizid anzubieten, die aber bei Ablehnung der Beihilfe unversehens mit Fragen der Patienten konfrontiert sein könnten, warum sie sie denn nicht leisten. Das Thema werde immer eine persönliche Gewissensentscheidung bleiben, aber es werde zugleich zu einer allgemeinen Anspruchshaltung kommen, die es den Ärzten immer schwerer machen werde, sich gegen den assistierten Suizid zu entscheiden.

Laut Prof. Maio ergebe sich der Sinn und der Auftrag der Medizin aus der Not der anderen. Aufgabe der Medizin sei es, diese Not zu verstehen und angemessen darauf zu reagieren. Der Einzelfall dürfe nicht aus dem Blick verloren werden. Da das Strafrecht zu starr für den Einzelfall sei, müsse die Freiheit der Ärzte bewahrt werden, Suizid nicht assistieren zu müssen. Dr. Gruner sieht einen neuen und starren Rechtsrahmen in Form eines Suizidgesetzes als Gefahr für die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen an. Der bereits vorhandene Rechtsrahmen sollte die Voraussetzung für eine ethische Diskussion bilden. Das Thema müsse in der Gesamtbevölkerung diskutiert werden. Er halte es für ein perfektes Thema für eine informierte Volksabstimmung.

Stimmen aus dem Publikum gaben zu bedenken, dass auch die Angehörigen nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Diese leiden ebenfalls und stellen sich in ihrer Ratlosigkeit die Frage, was sie denn falsch gemacht haben. Zudem wurde die Ökonomisierung der Medizin kritisiert, die in diesem Thema kein guter Ratgeber sei. Auch Prof. Maio hält ein mögliches Fortschreiten der Ökonomisierung für falsch.

Als Fazit des Nachmittags bleibt: Die Entkriminalisierung sei wichtig, assistierter Suizid solle aber nicht normalisiert werden. Konkrete gesetzliche Regelungen seien in nächster Zeit nicht absehbar. Das Thema müsse in direkten Arzt-Patient-Gesprächen behandelt und entschieden werden. Und, um es in Dr. Heckemanns Schlussworten zu sagen: „Wir können nicht immer heilen, wir können fast immer lindern, aber wir können immer trösten.“