"Haus- und Fachärzte sollten dringend für das Ziel der unquotierten Vergütung und darüber hinaus zusammenstehen."

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

damit will ich zunächst an einen wichtigen Gedanken aus dem Beitrag von Frau Kollegin Richter-Huhn aus den letzten KVS-Mitteilungen anknüpfen. Sprichwörter und, um den Begriff noch etwas zu erweitern, Redewendungen können einen wichtigen Beitrag zur Entspannung und damit Versachlichung von kontroversen Diskussionen leisten und Zitat: „gleichwohl den Finger in die Wunde legen – in der Hoffnung, zum Denken anzuregen“.

Debattenkultur ist unverzichtbar. Diese einzufordern sollte aber nicht bedeuten, Debatten als Kummerkasten zu missbrauchen und Kritik auszusitzen. Die KVen sind die Prügelknaben der Politik für alles, was in der ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung nicht funktioniert bzw. unter den gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht funktionieren kann. Das wissen wir seit langem. Wenn dieser Staat sein de facto unbegrenztes Leistungsversprechen an ärztlicher und psychotherapeutischer Versorgung gegenüber seinen Bürgern selbst einlösen müsste, mit solch begrenzten Ressourcen wie den unseren (und damit meine ich keinesfalls nur finanzielle, sondern mindestens genauso personelle), dann hätten wir so schlechte Verhältnisse wie zum Beispiel in Großbritannien. Selbst Substitution ärztlicher Leistungen würde daran nichts ändern, sondern im Wesentlichen zu einem weiteren Zuwachs an Schnittstellen, den damit immer verbundenen Problemen und einem Verschiebebahnhof der Verantwortung führen. Leistungsmengenbegrenzend bzw. kostendämpfend wirkt Bürokratie, weil in der dafür benötigten Zeit keine medizinischen Leistungen erbracht werden können.

„Die Budgetierung allgemeiner hausärztlicher Leistungen soll so schnell wie möglich ein Ende haben“, so die Aussage von Bundesgesundheitsminister Lauterbach am 9. Januar dieses Jahres. Die dazu angekündigte neue Systematik braucht es eigentlich nicht. Dafür gibt es einen EBM. Dort steht hinter jeder GOP eine Punktzahl, welche nur mit dem jeweiligen Regionalpunktwert multipliziert werden muss. Fertig ist die Entbudgetierung und dazu noch transparent. Dagegen sind solch neue Wortkreationen wie „Hausarzt-Morbiditätszentrierte Gesamtvergütung“ irritierend und lassen Hintergedanken vermuten, sowohl was Zeitverzug als auch Inhalt betrifft.

Es kann nur um die Ableitung der Vergütung aus der Morbidität der Bevölkerung gehen und diese Morbidität ist doch wohl für Haus- und Fachärzte gleich, womit wir bei der Überschrift wären. Man wird den Eindruck nicht los, Spaltungen kommen der Politik in diesem Land nicht ungelegen zwischen Haus- und Fachärzten, zwischen Niedergelassenen und Angestellten, zwischen stationärem und ambulantem Sektor und nicht zuletzt zwischen Ärzten einerseits und Patienten andererseits. Aber auch letztere erkennen zunehmend, dass die Probleme in unserem Gesundheitssystem eine Folge der politischen Rahmenbedingungen sind, wie beispielhaft die Unterstützung der Bundestagspetition durch viele Patienten zeigt. Allerdings gehört auch zur Wahrheit, dass wir unnötigerweise diese vereinzelt aufs Spiel setzen, wenn man von den Odysseen zwischen medizinischen Einrichtungen hört oder liest, welche Patienten mit offensichtlich substanziellen gesundheitlichen Problemen durchlaufen müssen, bis sich irgendwann endlich mal jemand ihrer annimmt. Das ist nicht nur fragwürdig. Das kostet uns auch Akzeptanz und Rückhalt in der Bevölkerung, welche(n) wir durchaus haben, wie es sich am Beispiel der Petition eindrucksvoll zeigt. Ich lege es uns allen ans Herz, trotz der hohen täglichen Belastung immer abzuwägen, welche Reaktion in bestimmten Situationen angemessen ist. Probleme sind oftmals schneller gelöst, als ellenlang darüber diskutiert.

Die nächste Verlautbarung des Ministers kaum mehr als eine Woche später am 17. Januar passt schon etwas besser, in welcher die Rede ist von hausärztlichem Leistungsbedarf als Summe aller erbrachten und (nach EBM) abgerechneten hausärztlichen Leistungen nach sachlicher und rechnerischer Prüfung. Ausgedient hat damit das Prinzip der Zahlung (des hausärztlichen Honoraranteils) der MGV mit befreiender Wirkung für die Krankenkassen. Von Patienten abgerufene Mehrleistungen bewirken Nachzahlungen der Kostenträger und gehen nicht zu Lasten anderer Arztgruppen. „Wenn der hausärztliche Leistungsbedarf das zur Verfügung stehende […] Honorar (Hausarzt-MGV) unterschreitet“, können Kassen und KVen Honorarzuschläge vereinbaren, welche zur Sicherung der Vorhaltung hausärztlicher Infrastruktur beitragen würden. Jetzt muss nur noch die Begrenzung dieser Maßnahmen auf Hausärzte fallen.

Wofür es aber viel eher eine neue Systematik braucht, ist nicht die Vertiefung, sondern die Verringerung der Pauschalierung hausärztlichen Honorars. Es ist nicht entscheidend, ob sich Pauschalen wie bisher auf ein Quartal oder zukünftig auf ein Jahr und auf die reine Vorhaltung einer Praxisinfrastruktur beziehen, wie von Minister Lauterbach am 9. Januar dieses Jahres angekündigt. Von den Patienten mit relevanten chronischen Erkrankungen dürfte der Anteil marginal sein, welcher pro Jahr unaufgefordert nicht mehr als einen Kontakt zum Hausarzt suchen würde. Wohl deswegen haben die Vorsitzenden des Deutschen Hausärzteverbandes – eigentlich Verfechter von Jahrespauschalen – in ihrem Rundbrief vom 11. Januar zurückgerudert mit dem Satz: „Selbstverständlich wird es aber auch in Zukunft Patientinnen und Patienten geben, welche einer aufwändigeren Versorgung bedürfen. Für diese Versorgungskonstellation wird es auch in Zukunft eine quartalsbezogene Abrechnung geben.“ Pauschalen bilden Leistung nie ausreichend ab. Sie sind also in hohem Maße intransparent, schaffen neue Bürokratie, vor allem für Hausärzte durch die geplanten Einschreibeverfahren und entziehen so der Patientenversorgung weitere Zeit. Wenn überhaupt, sollen Krankenkassen Einschreibeverfahren abwickeln, wenn sie das Personal dafür haben. Arztpraxen haben wohl Wichtigeres zu tun. Natürlich ist ein Teil der Patientenkontakte medizinisch nicht notwendig. Der Grund dafür liegt aber nicht darin, dass Ärzte sonst nicht ausgelastet wären, sondern im de facto unbegrenzten, medizinisch zum Teil entbehrlichen und damit unwirtschaftlichen Leistungsversprechen der Politik. Wenn dagegen Patienten (noch) keine chronischen Erkrankungen haben, binden sie sich kaum an irgendwelche Einschreibeprogramme, wie zum Beispiel der HZV in ihrer jetzigen Form. Deren angestrebte Bonifizierung zu rechtfertigen, dafür gibt es keine wissenschaftliche Evidenz. In Veröffentlichungen diesbezüglich ist lediglich die Rede von Hochrechnungen, Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten, aber nicht von statistischer Signifikanz. Entsprechende Untersuchungen, welche wissenschaftlichen Kriterien standhalten, wären ein Gewinn, müssten dann aber zu einem echten Primärarztsystem in der Regelversorgung führen.

Das andere Extrem zur Pauschalierung, die Abrechnung von Einzelleistungen, ist besonders für Hausärzte natürlich ebenso abwegig, weil zeitraubend. Vernünftig wäre eine sehr überschaubare Zahl eng aufeinanderfolgender einprägsamer Komplexabrechnungsziffern in Bezug zu den Fachgebieten, für welche Therapien verordnet wurden und mindestens einer entsprechenden ICD-Diagnose. Wenn die Diagnostik dazu in der Hausarztpraxis stattgefunden hat, sollte es dafür einen Zuschlag geben. Damit würde man vor allem auch dem immer wieder mal zu hörenden Postulat der stagnierenden Leistungsentwicklung im hausärztlichen Bereich und der quasi daraus folgenden Aufhebung der Quotierung begegnen.

Auch wenn sich das Honorarsystem im fachärztlichen Bereich vom hausärztlichen deutlich unterscheidet, ist der Anspruch auf unquotierte Vergütung nach EBM der gleiche. Haus- und Fachärzte sollten dringend für dieses Ziel und natürlich auch darüber hinaus zusammenstehen.

In der Zuversicht, dass wir das schaffen, grüße ich Sie herzlich.
 
Ihr Axel Stelzner